Tod in Breslau
er hatte auch
für die Mädchen, die ihn gerne bedienten, immer kleine
Aufmerksamkeiten dabei. Er war beherrscht und schweig-
sam, liebte Scharaden, Bridge, Schach und dralle Blondi-
nen. Diesen Leidenschaften konnte er bei Madame le Goef
hemmungslos nachgehen. Jeden Freitag um Mitternacht
fand er sich ein, er kam durch die Hintertür, schenkte den künstlerischen Darbietungen nicht die geringste Beachtung und begab sich geradewegs in sein Lieblingszimmer,
wo seine beiden Odalisken schon auf ihn warteten. Er ließ
sich von ihnen in einen seidenen Schlafrock hüllen, mit
Kaviar füttern und mit Rheinwein verwöhnen.
Mock saß bewegungslos da, nur seine Hände wander-
ten über die alabasterne Haut der Sklavinnen. Nach dem
Mahl setzte er sich mit einer von ihnen zum Schachspiel.
Währenddessen kroch die zweite unter den Tisch, um
dort zu tun, was angeblich bereits bei den prähistorischen Völkern eine wohl bekannte Praktik war. Das Mädchen,
das mit dem Rat Schach spielte, wusste, dass jedem von
Mocks gelungenen Zügen eine bestimmte erotische Stel-
lung zugeordnet war. Wenn sie also einen Bauer oder ei-
ne andere Figur an Mock verlor, erhob er sich vom Tisch
und ließ sich mit seiner Partnerin auf dem Sofa nieder,
wo er sich mit ihr für eine Weile in der jeweiligen Stel-
lung vergnügte.
Gemäß der selbst auferlegten Gesetze war es Mock je-
doch nicht erlaubt, seine Begierden zu befriedigen, wenn
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ihn eine seiner Partnerinnen schachmatt gesetzt hatte.
Das war ihm bereits einmal passiert, damals war er wort-
los aufgestanden, hatte jedem der Mädchen eine Blume
geschenkt und war gegangen – seinen Ärger und seine
Frustration hatte er hinter einem liebenswürdigen Lä-
cheln versteckt. Seitdem erlaubte er sich keinen Konzen-
trationsfehler mehr über dem Schachbrett.
Wieder einmal war ein langes Spiel vorbei, Mock ruhte
ein wenig auf dem Sofa und las den Mädchen aus seinen
Abhandlungen über menschliche Charaktere vor. Das
war seine dritte Passion, die er nur in seinem Lieblings-
club mit anderen teilte. Der Kriminalrat und Liebhaber
der Literatur der Antike überraschte seine Dienerinnen
mit langen lateinischen Zitaten. Er war ein wenig nei-
disch auf Nepos und Theophrast und konstruierte daher
seine eigenen Charakteristiken von Personen, mit denen
er Umgang pflegte – wobei er durchaus literarische An-
sprüche an sich selbst stellte. Als Grundlage hierfür dienten ihm sowohl seine eigenen Beobachtungen als auch die
Polizeiakten. Etwa einmal im Monat ersann er einen neu-
en Charakter, und die bereits bestehenden vervollständig-
te er zudem ständig mit immer neuen Fakten. All dies
verursachte beim Vorlesen ein großes Durcheinander in
den Köpfchen der müden Mädchen. Sie saßen zu seinen
Füßen, blickten in seine runden Augen, und auch wenn
sie nicht richtig zuhörten, fühlten sie, wie in ihrem Kun-
den eine Welle des Glücks aufstieg.
In der Tat war Mock glücklich, und wenn er gegen drei
Uhr morgens das Haus verließ, gab er den Mädchen im-
mer noch ein paar kleine Geschenke und dem verschlafe-
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nen Portier ein Trinkgeld. Seine Zufriedenheit bemerkte
sogar der Fiaker, der ihn durch die nächtlich stille Gräb-
schener Straße zu einem stattlichen Bürgerhaus auf dem
Rehdingerplatz kutschierte, wo der Kriminalrat sich an
der Seite seiner Frau schlafen legte. Nur noch das Ticken
der Uhr und die Rufe des Milchmanns und des Fuhr-
manns waren zu vernehmen.
In der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 1933 war es Eber-
hard Mock leider nicht vergönnt, in den Armen von Ma-
dame le Goefs Mädchen glücklich zu sein. Er hatte sich
gerade in eine interessante sizilianische Eröffnung ver-
tieft, als Madame diskret an die Tür klopfte.
Nach einem Moment klopfte sie noch einmal. Mock
seufzte, band seinen Schlafrock zu, stand auf und öffnete
die Tür. Sein Gesicht verriet nichts, doch Madame konn-
te ahnen, was in ihm vorging, wenn jemand seinen exqui-
siten erotischen Schach-Contredance störte.
»Lieber Herr Rat …« Die Besitzerin des Clubs verzich-
tete auf sämtliche Entschuldigungen, die, wie sie wusste,
in diesem Fall sinnlos gewesen wären. »Ihr Assistent ist
unten.«
Mock dankte höflich, zog sich rasch an, wobei ihm die
Mädchen behilflich waren (eine reichte ihm die Krawatte,
während die andere ihm Hose und Hemd zuknöpfte),
nahm aus seiner Aktentasche zwei kleine Bonbonnieren
und verabschiedete sich von den untröstlichen
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