Tod in Breslau
und zündete sich eine Zigarette an. Er starrte aus dem Fenster, bis er bemerkte, dass er in Mantel und
Hut da saß, rührte sich jedoch nicht von der Stelle. Einige Minuten später klopfte es an der Tür, und Forstner kam
herein.
»In einer Stunde sollen alle hier sein.«
»Sie sind bereits da.«
Es war das erste Mal, dass Mock einen anerkennenden,
wenn auch kühlen Blick auf seinen Assistenten warf.
»Forstner, bitte melden Sie ein Telefongespräch mit
Universitätsprofessor Andrae an. Und rufen Sie bei Ba-
ron Olivier von der Malten an und fragen Sie, wann der
Baron bereit wäre, mich zu empfangen. Die Einsatzbe-
sprechung wird in fünf Minuten hier stattfinden.«
Er irrte sich nicht, Forstner hatte beim Hinausgehen
wirklich die Absätze aneinander geknallt.
Die Ermittlungsbeamten und Inspektoren samt ihren
Assistenten, die Sekretäre und Wachtmeister der Krimi-
nalabteilung – sie alle wunderten sich nicht beim Anblick
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ihres unrasierten Chefs und des bleichen Forstner. Sie
wussten, dass der verstimmte Magen des Letzteren heute
nichts mit seiner Vorliebe für Grützwurst mit Zwiebeln
zu tun hatte.
»Meine Herrschaften, Sie müssen alle gerade in Arbeit
befindlichen Angelegenheiten beiseite legen.« Mock
sprach laut und mit Nachdruck. »Wir müssen alle recht-
mäßigen und unrechtmäßigen Methoden anwenden, um
den Mörder oder die Mörder zu finden. Sie dürfen prü-
geln, und Sie dürfen erpressen. Ich werde dafür sorgen,
dass Ihnen alle geheimen Akten zur Einsicht offen stehen.
Scheuen Sie keine Kosten bei der Informationsbeschaf-
fung. Und nun zu den Details: Hanslik und Burck, Sie
werden jeden verhören, der in irgendeiner Form mit dem
Kauf und Verkauf von Tieren zu tun hat – beim Lieferan-
ten des zoologischen Gartens angefangen bis zu den
Tierhandlungen, wo man Papageien und Goldfische kau-
fen kann. Ich erwarte Ihren Bericht am Dienstagmorgen.
Smolorz, Sie werden eine Liste sämtlicher privater Tier-
halter in Breslau und Umgebung beibringen – auch et-
waiger Exzentriker, die mit ihrer Anakonda schlafen.
Und Sie werden sie verhören. Forstner wird Ihnen dabei
zur Seite stehen. Bericht am Dienstag. Helm und Fried-
rich, Sie werden die Akten all derer durchforsten, die seit Kriegsende wegen Vergewaltigung oder jedweder sonsti-gen sexuellen Aberration registriert sind. Dabei werden
Sie Ihr besonderes Augenmerk auf die Tierfreunde rich-
ten sowie auf alle, die auch nur ansatzweise etwas von
orientalischen Sprachen verstehen. Bericht Montag-
abend. Reinert, Sie werden zwanzig Leute zusammen-
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trommeln und alle Bordelle besuchen, wobei Sie so viele
Prostituierte verhören werden, wie Sie nur irgend schaf-
fen. Finden Sie heraus, ob es irgendwelche Sadisten unter
den Kunden gegeben hat und ob einer beim Orgasmus
aus dem Kamasutra zitiert hat. Bericht am Dienstag.
Kleinfeld und Krank – Sie werden keine leichte Aufgabe
haben. Sie sollen herausfinden, wer die unglücklichen
Opfer zuletzt gesehen hat. Sie werden mir jeden Tag um
drei Uhr Bericht erstatten. Meine Herrschaften, der mor-
gige Sonntag ist kein arbeitsfreier Tag.«
Breslau, 13. Mai. 1933.
Elf Uhr vormittags
Professor Andreae war stur. Er behauptete hartnäckig,
dass er nur den tatsächlich auf die Tapete geschriebenen
Originaltext entziffern könne. Er wollte nichts von Foto-
grafien oder noch so perfekt ausgeführten handschriftli-
chen Kopien wissen. Auch Mock hegte seit seinem – al-
lerdings nicht abgeschlossenen – philologischen Studium
einen großen Respekt vor Handschriften, und so gab er
nach. Er legte den Hörer auf und veranlasste Forstner,
aus der Asservatenkammer die Stoffrolle mit den ge-
heimnisvollen Zeilen zu holen. Er selbst ging während-
dessen zum Chef der Kriminalabteilung Dr. Heinrich
Mühlhaus und stellte ihm seinen Aktionsplan vor. Der
Direktor gab keinen Kommentar dazu ab, weder Lob
noch Tadel, und machte auch keine Vorschläge. Er er-
weckte den Eindruck eines Großvaters, der mit nachsich-
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tigem Lächeln den versponnenen Träumereien seines
Enkels zuhört. Immer wieder strich er sich über seinen
grau melierten Bart, rückte seinen Zwicker zurecht, paffte seine Pfeife und blinzelte. Derweil versuchte Mock die
Augen offen zu halten und sich auf das Bild seines Vorge-
setzten zu konzentrieren.
»Junger Mann, bleiben Sie wach«, donnerte Mühlhaus
unvermittelt. »Ich weiß, dass Sie müde sind.«
Er trommelte mit seinen gelben
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