Tod in den Anden
nicht, als gäbe es diese Bomben und diese Massaker nicht. ›Merkwürdige Menschen‹, dachte er. Er hatte keinen einzigen Freund unter den Hilfsarbeitern gewinnen können, obwohl er schon so viele Monate mit ihnen zusammen war, obwohl er schon zweimal den Posten verlegt hatte, um dem Barackenlager zu folgen. Im Gegenteil. Sie behandelten ihn, als käme er vom Mars. In der Ferne erblickte er Tomás, der näher kam. Der Gendarm hatte Nachforschungen unter den Indios der Gemeinschaft und bei dem Bautrupp angestellt, der einen Kilometer von Naccos entfernt, in Richtung Huancayo, einen Tunnel in den Berg trieb.
»Und?« fragte er ihn, sicher, daß er ihm mit einer Geste bedeuten würde, er habe nichts erfahren.
»Ich hab was rausbekommen«, sagte der Gendarm, während er sich neben ihn setzte, auf einen der Felssteine, die Abwechslung in die Monotonie des Berghangs brachten. Sie befanden sich auf einem Felsvorsprung, auf halbem Wege zwischen dem Posten und dem Lager, das sich die Schlucht entlangzog, durch die die Straße führen würde, wenn sie jemals fertigwerden sollte. Es hieß, Naccos sei einmal ein blühendes Bergarbeiterdorf gewesen. Jetzt würde es nicht existieren ohne die Straßenbauarbeiten. Die Luft des Mittags war lau, und am Himmel, zwischen wattigen, bauschigen Wolken, strahlte eine blendende Sonne. »Der Vorarbeiter hat neulich abend Streit mit der Hexe gehabt.«
Die Hexe war Señora Adriana, die Frau von Dionisio. In den Vierzigern oder Fünfzigern, alterslos, stand sie abends in der Kantine, wo sie ihrem Mann half, die Leute zum Trinken zu bringen, und wenn es stimmte, was sie erzählte, dann kam sie vom anderen Ufer des Mantaro, aus der Gegend von Parcasbamba, einer Region, die halb zum Hochland, halb zum Urwald gehörte. Am Tage bereitete sie einigen Hilfsarbeitern das Essen zu, und an den Nachmittagen und Abenden sagte sie ihnen aus Karten die Zukunft voraus, machte Horoskope, las ihnen aus der Hand oder warf Kokablätter in die Luft und deutete die Figuren, die sie beim Herunterfallen bildeten. Sie war eine Frau mit großen hervorspringenden, brennenden Augen und weit ausladenden Hüften, in denen sie sich beim Gehen wiegte. Allem Anschein nach war sie ein Prachtweib gewesen, und über ihre Vergangenheit wurde viel gemunkelt. Daß sie die Frau eines großnasigen Bergarbeiters gewesen sei und sogar, daß sie einen pishtaco umgebracht habe. Lituma vermutete, daß sie außer Köchin und Wahrsagerin in den Nächten auch noch etwas anderes war.
»Erzähl mir nicht, daß die Hexe sich als Terroristin entpuppt hat, Tomasito.«
»Demetrio Chanca hat sich von ihr die Kokablätter werfen lassen. Es hat ihm wohl nicht gefallen, was sie ihm geweissagt hat, denn er wollte sie nicht bezahlen. Sie haben sich angeschrien. Doña Adriana war wütend und hat versucht, ihn zu kratzen. Das hat mir ein Augenzeuge erzählt.«
»Und als Rache für die Prellerei hat die Hexe ein bißchen gezaubert und ihn in Luft aufgelöst«, seufzte Lituma. »Hast du sie befragt?«
»Ich habe sie hierher bestellt, Herr Korporal.«
Lituma glaubte nicht, daß er Demetrio Chanca gekannt hatte. Den Albino ja, entfernt, denn das Gesicht auf der Fotografie, die die Frau ihnen bei der Anzeige überlassen hatte, erinnerte ihn an jemanden, mit dem er irgendwann einmal bei Dionisio ein paar Worte gewechselt hatte. Der erste hingegen, Pedrito Tinoco, hatte mit ihnen in dieser Hütte gelebt, und der Korporal bekam ihn nicht aus dem Kopf. Carreño hatte ihn in der Region der Hochebenen betteln gesehen und ihn zum Posten mitgebracht, wo er für Essen und ein wenig Taschengeld arbeitete. Er erwies sich als außerordentlich nützlich. Er half ihnen, den Dachbalken der Hütte zu verstärken, das Wellblech zu befestigen, die Trennwand festzunageln, die fast in sich zusammengefallen wäre, und den Schutzwall aus Säcken anzulegen, für den Fall eines Angriffs. Bis sie ihn eines schönen Tages Bier kaufen schickten und er verschwand,ohne eine Spur zu hinterlassen. So hatte dieser Irrsinn angefangen, dachte Lituma. Wie würde er wohl enden.
»Da kommt Doña Adriana«, teilte ihm sein Amtshelfer mit.
Ihre Gestalt löste sich beinahe auf im weißen Licht, in der Ferne. Unten im Tal spiegelte sich die Sonne im Wellblech der Baracken, und das Lager sah aus wie eine Reihe kleiner Seen, ein zerbrochener Spiegel. Ja, es war die Hexe. Als sie bei ihnen ankam, keuchte sie leicht und erwiderte den Gruß des Korporals und des Gendarmen mit einem spröden
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