Tod in den Anden
nicht bezahlen wollte«, sagte Tomasito lächelnd.
»Wer würde ihn opfern?« fragte Lituma.
Die Frau machte eine Geste, die Überdruß oder Verachtung ausdrücken konnte. Sie fächelte sich langsam, schnaufend Luft zu.
»Sie wollen, daß ich Ihnen antworte: die Terroristen,die von Sendero, nicht wahr?« Sie schnaufte erneut und änderte den Ton. »Das stand nicht in seinen Händen.«
»Und Sie erwarten, daß ich mich mit einer solchen Erklärung zufriedengebe?«
»Sie fragen, und ich antworte Ihnen«, sagte die Frau mit großer Gelassenheit. »Das habe ich in seiner Hand gesehen. Und es hat sich erfüllt. Ist er denn nicht verschwunden? Sie haben ihn also geopfert.«
Die muß doch verrückt sein, dachte Lituma. Señora Adriana schnaufte wie ein Blasebalg. Mit ihrer rundlichen Hand hob sie den Rand des Rockes zum Gesicht hoch und schneuzte sich, wobei sie zwei dicke, weißliche Waden entblößte. Sie schneuzte sich noch einmal, mit großem Getöse. Trotz seines Unbehagens lachte der Korporal kurz auf: auch eine Art, sich die Nase zu putzen.
»Hat man Pedrito Tinoco und den Albino Huarcaya ebenfalls dem Teufel geopfert?«
»Denen habe ich weder die Karten gelegt noch aus der Hand gelesen, und ich habe auch nicht ihr Horoskop gemacht. Kann ich gehen?«
»Einen Augenblick.« Lituma hielt sie zurück.
Er nahm sein Käppi ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Sonne stand mitten am Himmel, eine flimmernde Scheibe. Es herrschte eine Hitze wie im Norden. Aber in vier oder fünf Stunden würde es kalt werden, und gegen zehn Uhr abends würden seine Knochen vor Kälte knirschen. Wer sollte diesesKlima verstehen, es war genauso undurchschaubar wie die Hochlandbewohner. Er mußte wieder an Pedrito Tinoco denken. Wenn er mit dem Waschen und Spülen der Wäsche fertig war, blieb er auf einem Stein sitzen, reglos, ins Leere schauend. So verharrte er, still, in sich gekehrt, mit den Gedanken weiß Gott wo, bis die Kleidungsstücke trocken waren. Dann faltete er sie sorgsam und überreichte sie dem Korporal, mit einer Verbeugung. Verdammte Scheiße. Unten im Lager, zwischen dem aufblitzenden und schimmernden Wellblech, bewegten sich die Hilfsarbeiter. Kleine Ameisen. Diejenigen, die nicht den Tunnel sprengten oder mit der Schaufel arbeiteten, hatten jetzt ihre Pause; wahrscheinlich aßen sie ihr mitgebrachtes Essen.
»Ich versuche, meine Arbeit zu tun, Doña Adriana«, sagte er plötzlich, selbst überrascht über seinen vertraulichen Ton. »Es sind drei Leute verschwunden. Die Familien haben es gemeldet. Die Terroristen können sie umgebracht haben. Sie mit Gewalt für ihre Miliz rekrutiert haben. Sie entführt haben. Man muß es herausfinden. Deshalb sind wir hier in Naccos. Deshalb gibt es diesen Gendarmerieposten. Oder warum glauben Sie?«
Tomás hatte ein paar Steinchen vom Boden aufgelesen und zielte auf die Säcke der Palisade. Wenn er traf, gab es ein schwaches, dumpfes Geräusch.
»Werfen Sie mir etwas vor? Ist es meine Schuld, daß es Terroristen in den Anden gibt?«
»Sie sind eine der Personen, die Demetrio Chanca zuletzt gesehen haben. Sie hatten Streit mit ihm. Was ist das für eine Geschichte, daß er seinen Namen geändert hat? Geben Sie uns einen Hinweis. Ist das zuviel verlangt?«
Die Frau schnaufte erneut, mit einem rasselnden Geräusch.
»Ich habe Ihnen erzählt, was ich weiß. Aber Sie glauben nichts von dem, was Sie hören, Ihnen kommt alles wie Hexenmärchen vor.« Sie suchte Litumas Augen, und dieser fühlte, daß ihr Blick ihn anklagte. »Glauben Sie vielleicht etwas von dem, was ich Ihnen sage?«
»Ich versuche es, Señora. Die einen glauben und die anderen glauben nicht an die Sache mit dem Jenseits. Darauf kommt es jetzt nicht an. Ich will nur die Geschichte dieser drei aufklären. Ist Sendero Luminoso schon in Naccos? Besser, man weiß es. Was den dreien passiert ist, könnte jedem passieren. Ihnen selbst und Ihrem Mann, Doña Adriana. Haben Sie nicht gehört, daß die Terroristen die Laster bestrafen? Daß sie die Säufer auspeitschen? Stellen Sie sich vor, was die mit Typen wie Dionisio und Ihnen tun würden, die davon leben, daß sie die Leute betrunken machen. Wir sind hier, um auch Sie beide zu beschützen.«
Señora Adriana verzog ihren Mund zu einem kleinen, spöttischen Lächeln.
»Wenn die uns umbringen wollen, wird sie niemand daran hindern. Und wenn sie Lust haben, Sie beidehinzurichten, natürlich genausowenig. Das wissen Sie sehr gut, Korporal. Sie beide und
Weitere Kostenlose Bücher