Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
Weite der Hochebene herab.Er war glücklich, obwohl er bedauerte, daß dieser Schmerz im Nacken und die Qual, den Kopf nicht auf etwas Weiches stützen zu können, ihm das Schauspiel verdarben, wie ein behaarter Leberfleck, der ein hübsches Gesicht entstellt. Plötzlich schüttelte jemand ihn heftig.
    »Sind wir schon in Andahuaylas?« fragte er benommen.
    »Ich weiß nicht, was los ist«, flüsterte ihm la petite Michèle ins Ohr.
    Er rieb sich die Augen und sah Lichtkegel, die sich innerhalb und außerhalb des Busses bewegten. Er hörte gedämpfte Stimmen, Geflüster, einen Schrei, der sich wie eine Beschimpfung anhörte, und nahm überall konfuse Bewegungen wahr. Es war tiefe Nacht, und durch das gesprungene Glas funkelten Myriaden von Sternen.
    »Ich werde den Fahrer fragen, was los ist.«
    La petite Michèle ließ nicht zu, daß er aufstand.
    »Was sind das für Leute?« hörte er sie fragen. »Ich dachte, es sind Soldaten, aber nein, sieh mal, da weinen welche.«
    Die Gesichter erschienen und verschwanden, flüchtig, im Hin und Her der Taschenlampen. Es schienen viele zu sein. Sie umzingelten den Bus, und jetzt bemerkte Albert, endlich wach geworden und nachdem seine Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten, daß etliche der Gesichter von Wollkapuzen bedeckt waren, die nur die Augen frei ließen. Und was da aufblitzte, waren Waffen, was sollte es sonst sein.
    »Der von der Botschaft hatte recht«, flüsterte das Mädchen, am ganzen Körper zitternd. »Wir hätten das Flugzeug nehmen sollen, ich weiß nicht, warum ich auf dich gehört habe. Du ahnst, wer das ist, oder?«
    Jemand öffnete die Tür des Busses, und ein kalter Luftzug fuhr ihnen durch das Haar. Zwei gesichtslose Gestalten kamen herein, und Albert wurde einige Sekunden lang von den Taschenlampen geblendet. Sie gaben einen Befehl, den er nicht verstand. Sie wiederholten ihn, in energischerem Ton.
    »Hab keine Angst«, murmelte er am Ohr von la petite Michèle. »Wir haben nichts damit zu tun, wir sind Touristen.«
    Alle Fahrgäste waren aufgestanden und verließen, mit den Händen auf dem Kopf, einer nach dem anderen den Bus.
    »Es wird schon nichts passieren«, wiederholte Albert.
    »Wir sind Ausländer, ich werde es ihnen erklären. Komm, steigen wir aus.«
    Sie stiegen aus, vermischt mit der Menge, und als sie ins Freie kamen, schnitt ihnen der eisige Wind ins Gesicht. Sie blieben in der Gruppe stehen, eng beieinander, Arm in Arm. Sie hörten einzelne Wörter, Gemurmel, Albert konnte nicht verstehen, was sie sagten. Aber es war Spanisch, nicht Quechua, was sie sprachen.
    »Señor, bitte«, sagte er überdeutlich, an den Mann im Poncho gewandt, der neben ihm stand, aber imgleichen Augenblick brüllte eine Donnerstimme: »Ruhe!« Besser, man machte den Mund nicht auf. Sie würden schon Gelegenheit bekommen, zu erklären, wer sie waren und warum sie sich hier befanden. La petite Michèle hielt mit beiden Händen seinen Arm umklammert, Albert spürte ihre Fingernägel durch die dicke Jacke hindurch. Jemandem – ihm? – klapperten die Zähne.
    Die Leute, die den Bus gestoppt hatten, sprachen kaum ein Wort miteinander. Sie hatten sie umzingelt, und sie waren viele; zwanzig, dreißig, vielleicht mehr. Worauf warteten sie? Im zuckenden Licht der Taschenlampen entdeckten Albert und la petite Michèle Frauen unter den Angreifern. Einige mit Kapuzen, andere mit unbedecktem Gesicht. Einige mit Feuerwaffen, andere mit Knüppeln und Macheten. Alle jung.
    In der Dunkelheit explodierte ein weiterer Befehl, den Albert ebenfalls nicht verstand. Die Mitreisenden begannen, in ihren Taschen und Brieftaschen zu suchen und Papiere oder Ausweise zu übergeben. Er und sie holten ihre Pässe aus der Gürteltasche. La petite Michèle zitterte immer stärker, aber er wollte die Leute nicht provozieren und wagte daher nicht, sie zu beruhigen, ihr zu versichern, daß jetzt, wenn sie ihre Pässe öffnen und sehen würden, daß sie französische Touristen waren, das Schlimmste vorbei wäre. Sie würden vielleicht die Dollars behalten. Es waren nicht viele, zum Glück. Die Travellerschecks reisten verborgen in Alberts Gürtel mit doppeltem Boden, und mit ein wenig Glück würden sie sie nicht finden.
    Drei von ihnen begannen, die Papiere einzusammeln, wobei sie in die Reihen der Fahrgäste traten. Als sie zu ihm kamen, buchstabierte Albert, während er der weiblichen Gestalt mit umgehängtem Gewehr die beiden Pässe reichte:
    »Wir sind französische Touristen. Nicht Spanisch

Weitere Kostenlose Bücher