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Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Fleck gefunden; oder sie hatten sie herausgerufen, wie sie es mit jedem der Fahrgäste hätten tun können, nur um ihr etwas Geld abzuknöpfen. Warum länger darüber nachdenken, das Schlimmste war bereits vorbei. War sie nicht frei? Hatten sie nicht das halbe Hochland ohne Probleme durchquert? Sie würden in knapp zwei Stunden heil und gesund nach Lima kommen. Als wollte er Carreños Worte beglaubigen, ließ der Maschinist zweimal die Signalpfeife des Zuges ertönen, und der schrille Pfiff hallte lange in den kahlen Bergen der Umgebung wider.
    »In der Zeitung war nicht die Rede von pishtacos , sondern von Augenschneidern oder Augendieben«, sagte Lituma. »Aber du hast recht, Tomasito, sie gleichen diesen pishtacos der Indios. Was mir nicht in den Kopf will, ist, daß jetzt auch in Lima die Leute an diese Dinge zu glauben beginnen. In der Hauptstadt Perus, wie ist das möglich!«
    »Sie glauben, daß ich Ihnen zuhöre, aber ich bin nicht hier«, flüsterte Tomasito. »Ich bin in dem Hochlandzug,in dem ich Kurve um Kurve bis nach Desamparados runterfahre und meinen Schatz fest umschlungen halte.«
    »Komm, überzeug mich«, sagte sie, während sie sich an ihn schmiegte. »Daß es reiner Zufall war, daß sie mich herausgerufen haben. Ich will nicht ins Gefängnis. Eine, die ich kannte, hat in Chorillos gesessen. Ich bin sie besuchen gegangen. Bevor ich ins Gefängnis gehe, bringe ich mich lieber um.«
    Der Junge schloß sie fest in die Arme. Sie saßen ganz dicht beieinander, auf einem Sitz, der nur für einen Fahrgast bestimmt war. Der Waggon war überfüllt, überall standen Leute mit Gepäckstücken, Paketen, sogar mit Hühnern, und auf jeder Station stiegen neue Fahrgäste zu. Bald würde man nicht mehr atmen können. Ein Glück, daß schon der Bahnhof von Matucana kam. Tomás drückte seinen Mund auf Mercedes’ dichtes Haar:
    »Ich schwöre dir, daß dir nie was passieren wird«, versprach er ihr. »Ich werde dich immer retten, wie gestern nacht.«
    Er küßte sie und sah, daß sie die Augen schloß. Vor dem Fenster zogen auf den Höhen und an den Abhängen der Berge vereinzelte Dörfer vorbei, und am Wegrand erschienen schon bunte Werbeanzeigen. Es war ein bleierner Nachmittag mit niedrigen Wolken, die einen Regen anzukündigen schienen, der niemals kommen würde. Das Klima von Lima, eben.
    »Etwas Schlimmes geht in diesem Land vor, Tomasito.«Lituma unterbrach ihn erneut. »Wie ist es möglich, daß ein ganzes Armenviertel von Lima einem solchen Schauermärchen aufsitzt? Ein paar Gringos, die fünfjährige Kinder in Luxuswagen zerren, um ihnen mit hypermodernen Skalpellen die Augen herauszuschneiden. Natürlich gibt es verrückte Weiber, die so was sagen. Auch in Lima wird es Frauen wie Doña Adriana geben. Aber daß ein ganzes Viertel das glaubt und die Bewohner auf die Straße stürzen, um ihre Kinder aus der Schule zu holen, und sich daran machen, nach Fremden zu suchen, um sie zu lynchen, findest du das nicht unglaublich?«
    »Was Augen betrifft, die von meiner Mercedes«, raunte der Gendarm. »Groß wie Sterne und von der Farbe des Honigs.«
    Er empfand jetzt nicht die geringste Furcht. Die hatte er gehabt, als sie durch die Anden gefahren waren, auf Gedeih und Verderb dem Fahrer ausgeliefert, dem Carreño, damit er nicht übermütig wurde, ab und zu die Pistole zeigte. Aber während der Reise hatten sie sich gut mit ihm vertragen. Er ließ sich die Geschichte aufbinden, oder vielleicht tat er auch nur so, daß Carreño und Mercedes auf der Flucht vor einem eifersüchtigen Ehemann waren, der sie bei der Polizei angezeigt hatte. Er stieg zweimal aus, um Essen und Getränke zu kaufen, und schlug ihnen vor, in Cerro de Pasco den Zug zu nehmen. Als Bezahlung für seine Dienste überließ Carreño ihm die beiden Maschinenpistolen.
    »Wenn du willst, gibst du sie als guter Staatsbürger zurück. Oder du verkaufst sie und machst einen Haufen Geld mit diesem Spielzeug.«
    »Ich werde eine Münze werfen«, sagte der Fahrer und wünschte ihnen schöne Flitterwochen. »Ich werde ein paar Stunden warten, bis ich zur Polizei gehe.«
    »In der Zeitung stand, daß es auch in Chiclayo so eine wahnsinnige Geschichte gab vor einem Monat, und noch eine in Ferreñafe«, fuhr Lituma fort. »Daß eine Frau vier Gringos mit weißen Kitteln gesehen hat, die ein Kind mitnahmen; daß die Leiche eines anderen Kindes, ohne Augen, in einem Wassergraben aufgetaucht ist und daß die Augendiebe ihm fünfzig Dollar in die Tasche

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