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Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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gesteckt hatten. Sie haben Patrouillen aufgestellt, wie in Ayacucho, als die Gerüchte über die Invasion von pishtacos umliefen. Lima, Chiclayo und Ferreñafe – alles läßt sich vom Aberglauben der Indios anstecken. Genau wie Naccos. Es ist wie eine Epidemie, findest du nicht?«
    »Um ehrlich zu sein, es ist mir scheißegal, Herr Korporal. Denn in diesem Augenblick bin ich vollkommen glücklich.«
    Der Zug kam gegen sechs Uhr im Bahnhof Desamparados an. Es begann zu dunkeln, aber die Lichter waren noch nicht eingeschaltet, so daß Carreño und Mercedes die große Halle im Halbdunkel durchquerten. Es gab keine Polizisten im Gebäude, auch nicht am Ausgang, abgesehen von den wachhabenden Polizisten vor dem Gitter des Regierungspalastes.
    »Das beste ist, jeder geht jetzt seinen Weg, Carreñito«, sagte Mercedes auf der Straße.
    »Willst du in deine Wohnung? Sie wird bestimmt genauso überwacht wie meine. Am besten ist, wir verstecken uns ein paar Tage bei meiner Mutter.«
    Sie nahmen ein Taxi, und nachdem der Junge eine Adresse in Breña angegeben hatte, neigte er sich und flüsterte Mercedes ins Ohr:
    »Du wolltest mich also loswerden?«
    »Damit das klar ist«, sagte sie mit leiser Stimme, um vom Taxifahrer nicht gehört zu werden, »was geschehen ist, ist geschehen, gut. Aber ich habe schwer um meine Unabhängigkeit im Leben gekämpft. Mach dir keine falschen Vorstellungen. Ich werde mich nicht zum Anhang eines Gendarmen machen.«
    »Eines Ex-Gendarmen«, unterbrach sie der Junge.
    »Wir bleiben nur so lange zusammen, bis wir aus diesem Schlamassel raus sind, den du uns eingebrockt hast. Okay, Carreñito?«
    »Irgendwie hängt für mich das alles mit Dionisio und der Hexe zusammen«, sagte Lituma. »Es ist, als hätte dieses Paar von Wilden recht gehabt und die Zivilisierten unrecht. Lesen und Schreiben können, Anzug und Krawatte tragen, die Schule besucht haben und in der Stadt leben nützt alles nichts mehr. Nur die Hexer verstehen, was geschieht. Weißt du, was Dionisio heute nachmittag in der Kantine gesagt hat? Um weise zu sein, muß man Frucht eines Inzests sein. Jedesmal wenn diese Schwuchtel den Mund aufmacht,läuft mir ein Schauer über den Rücken. Dir nicht?«
    »Mir läuft jetzt auch ein Schauer über den Rücken, aber von anderer Art, Herr Korporal. Ich beginne nämlich gerade meine unruhigen Flitterwochen.«
    Als sie in Breña die Avenida Arica hinunterfuhren, gingen die fahlen Lichter der Straße an. Das Taxi fuhr um die La-Salle-Schule, folgte einer kleinen Straße und wollte gerade auf Geheiß des Jungen abbiegen, als dieser sich anders besann:
    »Fahren Sie einfach weiter. Ich hab mir’s anders überlegt. Besser in die Barrios Altos.«
    Mercedes schaute ihn überrascht an und sah, daß Carreño den Revolver in der Hand hielt.
    »Das Land ist dabei, sich dem Teufel und dem Wahnsinn auszuliefern, und du bist immer und ewig mit diesem Mädchen zugange. Es ist wahr, nichts Egoistischeres als ein Typ, der einer Frau verfallen ist, Tomasito.«
    »Da stand einer neben der Laterne, gegenüber vom Haus, der hat mir nicht gefallen«, erklärte er ihr. »Vielleicht sehe ich ja Gespenster, aber wir können kein Risiko eingehen.«
    In den Barrios Altos wies er den Fahrer an, sie vor dem Altersheim aussteigen zu lassen, und wartete, bis das Taxi abgefahren war, um Mercedes am Arm zwei Straßenzüge weiter zu schleppen, bis zu einer kleinen Behausung mit vergitterten Türen und Fenstern im Erdgeschoß eines dreistöckigen Hauses mitverblaßten Farben. Die Tür wurde sofort geöffnet. Eine Frau im Morgenmantel und Hauspantoffeln mit einem Tuch auf dem Kopf musterte sie von oben bis unten, ohne Freude.
    »Es muß dir schlechtgehen, wenn du hier auftauchst«, sagte sie zur Begrüßung zu Carreño. »Seit tausend Jahren kommst du nicht her.«
    »Ja, Tante Alicia, es geht mir nicht besonders gut im Augenblick«, gab Tomás zu, während er die Frau auf die Stirn küßte. »Ist das Zimmer frei, das du vermietest?«
    Die Frau musterte Mercedes von Kopf bis Fuß. Sie nickte widerwillig.
    »Kannst du es mir für ein paar Tage vermieten, Tante Alicia?«
    Sie trat zur Seite, um sie eintreten zu lassen.
    »Es ist gestern frei geworden«, sagte sie. Als Mercedes an ihr vorbeiging, murmelte sie ›Guten Abend‹, und die Frau antwortete ihr mit einem Brummen.
    Sie ging ihnen in einem schmalen Flur voran, an dessen Wänden Fotos hingen, öffnete eine Tür und schaltete das Licht an: Es war ein Schlafzimmer mit einem

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