Tod in den Anden
einzigen Bett, bedeckt mit einer rosafarbenen Decke, und einer Truhe, die das halbe Zimmer einnahm. Es gab ein kleines Fenster ohne Vorhänge, und über dem Kopfende des Bettes ein hölzernes Kruzifix.
»Heute abend gibt es kein Essen, und es ist zu spät, um etwas einzukaufen«, teilte ihnen die Frau mit. »Ichkann morgen ein Mittagessen machen. Allerdings, zwar hat das Zimmer nur ein Bett, aber da ihr zu zweit seid . . .«
»Ich bezahl dir das Doppelte«, sagte der Junge bereitwillig. »Was gerecht ist, ist gerecht.«
Sie nickte und schloß beim Weggehen die Tür.
»Daß du ein kleiner Heiliger warst, ist wohl ein Märchen«, bemerkte Mercedes. »Hast du keine Frauen hergebracht? Diese unsympathische Ziege hat nicht mit der Wimper gezuckt, als sie mich gesehen hat.«
»Jeder würde sagen, du bist eifersüchtig.« Er tat einen leisen Pfiff.
»Eifersüchtig?«
»Ich weiß ja, daß es nicht so ist«, sagte Carreño. »Ich wollte nur sehen, ob ich nicht mit einem Scherz den Schrecken aus deinem Gesicht vertreiben kann. Ich habe nie jemanden hergebracht. Alicia ist nicht mal meine Tante. So nennen sie alle. Das hier war eine Zeitlang mein Viertel. Komm, waschen wir uns und gehen wir raus, um etwas zu essen.«
»Das heißt also, dieser Schwuchtel zufolge sind weise Menschen Kinder von Bruder und Schwester oder Vater und Tochter . . . solche Schweinereien.« Lituma sprach vor sich hin. »Solche Dinge, wie ich sie in Naccos zu hören bekomme, habe ich in Piura nie gehört. Dionisio könnte natürlich einem Inzest entstammen. Ich weiß nicht, warum sie mich so sehr beschäftigen, er und die Hexe. Im Grunde sind sie es, die hier das Sagen haben. Du und ich, wir haben nichts zu melden.Ich versuche, den Hilfsarbeitern und Vorarbeitern und den Indios der Gemeinschaft etwas über sie aus der Nase zu ziehen, aber keiner rückt mit der Sprache raus. Und außerdem weiß ich nicht, ob sie sich über mich lustig machen. Weißt du, was mir der aus Huancayo, der die Planierraupe bedient, über Dionisio gesagt hat? Sein Spitzname in Quechua sei . . .«
»Esser-von-rohem-Fleisch«, unterbrach ihn sein Amtshelfer. »Himmel, Herr Korporal, werden Sie mir als Neuigkeit auch noch erzählen, daß die Mutter des Kantinenwirts vom Blitz erschlagen wurde?«
»Das sind wichtige Dinge, Tomasito«, knurrte Lituma.
»Um ihre Eigenart zu verstehen.«
Mercedes hatte sich auf das Bett gesetzt und schaute Carreño in einer Weise an, die dem Jungen herablassend erschien.
»Ich will dich nicht täuschen«, sagte sie erneut, freundlich, um ihn nicht zu verletzen. »Ich fühle für dich nicht das gleiche wie du für mich. Es ist besser, daß ich es dir sage, oder? Ich werde nicht mit dir zusammenleben, ich werde nicht deine Frau. Krieg das in den Kopf, Carreñito. Wir werden nur so lange zusammenbleiben, bis wir diesen Schlamassel hinter uns haben.«
»Bis dahin ist Zeit genug, damit du dich in mich verliebst«, schnurrte er, während er ihr Haar streichelte. »Außerdem kannst du mich jetzt nicht verlassen,auch wenn du wolltest. Wer wird dich aus dieser Geschichte herausholen, wenn nicht ich? Besser gesagt, wer außer meinem Paten kann uns aus dieser Geschichte herausholen?«
Sie wuschen sich in einem winzigen Badezimmer, das wie Spielzeug wirkte, und gingen auf die Straße hinaus. Carreño faßte Mercedes am Arm und führte sie mit sicherem Schritt durch halbdunkle Straßen voller junger Burschen, die an den Ecken in Gruppen zusammenstanden und rauchten, zu einem chinesischen Restaurant mit Séparées, die durch schmierige Wandschirme abgetrennt waren. Das Lokal war voller Rauch, es roch nach Gebratenem, und ein voll aufgedrehtes Radio beschallte den Raum mit Rockmusik. Sie setzten sich in die Nähe der Eingangstür, und außer mehreren Gerichten für beide zusammen bestellte der Junge eiskaltes Bier. Gleichzeitig mit der Musik gelangten laute Flüche und die Rhythmen einer Kistentrommel zu ihnen.
»Um mich hat man einmal gewürfelt, damit du das weißt, Carreñito.« Mercedes schaute ihn an, ohne zu lächeln. Sie hatte tiefe Augenringe, und ihr Gesicht war eingefallen; ihre Augen glänzten nicht mehr wie in Tingo María oder in Huánuco. »Das verdammte Unglück verfolgt mich, seit ich geboren bin, da ist nichts zu machen.«
»Man hat um sie gewürfelt?« Zum ersten Mal in dieser Nacht zeigte Lituma sich interessiert. »Erzähl mir, wie das war, Tomasito.«
»So, wie ich’s dir sage.« Ihre Stimme klang melancholisch. »Ein paar
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