Tod in der Königsburg
gab viel zu tun mit den Vorbereitungen . . .«
»Sag mir, wie du festgestellt hast, daß die heiligen Reliquien fort waren.«
Diesmal ließ sich Bruder Madagan von ihrem scharfen Einwurf nicht beirren.
»Ich ging zu der Kapelle, in der die heiligen Reliquien aufbewahrt wurden«, antwortete er ruhig.
»Du bist aber nicht der Bewahrer der Reliquien des heiligen Ailbe. Warum gingst du hin?« Ihre Stimme war sanft, aber die Frage bohrend.
»Weil ich Nachtwache hatte. Da gehörte es zu meinen Pflichten, die Runde zu machen und zu sehen, daß in der Abtei alles in Ordnung ist.«
»Ich nehme an, du fandest, daß alles in Ordnung war?«
»Anfangs schon . . .«
»Bis du zur Kapelle kamst?«
»Ja. Da fiel mir auf, daß das Reliquiar nicht in seiner Nische stand.«
»Wann war das?«
»Ungefähr eine Stunde vor Sonnenaufgang.«
»Wann hatte man das Reliquiar zuletzt an seinem Platz gesehen?«
»Beim Vespergebet. Da haben es alle gesehen. Bruder Mochta war auch da.«
Eadulf hüstelte leicht, bevor er fragte: »Was genau enthielt dieses Reliquiar?«
Bruder Madagan machte eine weit ausholende Handbewegung. »Die Reliquien unseres geliebten heiligen Ailbe.«
»Nein, so meine ich das nicht. Was gehörte alles zu diesen Reliquien? Wir wissen nur, daß das Kruzifix, das er aus Rom mitbrachte, darunter war.«
»Ach so, ich verstehe.« Bruder Madagan lehnte sich nachdenklich zurück. »Außer dem Kruzifix gehörten dazu sein Bischofsring, sein Messer, ein von seiner eigenen Hand geschriebenes Exemplar des Gesetzes Ailbes und seine Sandalen. Ach, und dann natürlich sein Kelch.«
»Ist es hier üblich, daß die Leute wissen, was sich in einem Reliquiar befindet?« fragte Eadulf plötzlich. »In vielen Kirchen, die Reliquien von Heiligen besitzen, ist das Reliquiar geschlossen, damit niemand die Stücke sehen kann.«
Bruder Madagan lächelte. »In diesem Fall wissen die Leute, was im Reliquiar ist, Edler Wolf der Angelsachsen«, scherzte er. »Der Inhalt wird jedes Jahr bei der Feiertagszeremonie gezeigt und von der Kapelle zu Ailbes heiligen Brunnen getragen, wo er gesegnet wird, und von dort zu dem Stein, der sein Grab bezeichnet.«
»Ihr materieller Wert war nicht sehr hoch, von dem Kruzifix abgesehen?« forschte Eadulf.
»Das Kruzifix und der Ring sind ein Vermögen wert«, erwiderte Madagan. »Der Ring ist aus Gold und mit einem Edelstein besetzt, der Smaragd heißt, ein seltsamer grüner Stein, der in Ägypten gefunden wird und den die Chaldäer verarbeitet haben sollen. Dieser Ring war ein Geschenk von Zosimus an Ailbe, wie auch das Kruzifix. Das ist aus Silber, aber ebenfalls mit Smaragden besetzt.«
»Also war der materielle Wert doch hoch?« beharrte Eadulf.
»Ziemlich hoch, aber gering im Vergleich zu dem symbolischen Wert dieser Reliquien für unsere Abtei und das Königreich Muman.«
»Diese Bedeutung der Reliquien habe ich Bruder Eadulf schon erklärt«, bestätigte Fidelma.
Bruder Madagan senkte den Kopf. »Dann wirst du verstehen, Edler Wolf, daß die Wiedererlangung des Reliquiars und der heiligen Reliquien für das Wohl unseres Königreichs unerläßlich ist. Unsere Menschen glauben an Symbole. Deshalbbefürchten sie, daß der Verlust der Reliquien Unheil über unser Land bringen würde.«
»War der Kelch wertvoll?« fragte Eadulf.
»Es ist aus Silber und mit Halbedelsteinen besetzt. Ja, er hat großen materiellen Wert.«
»Wer in der Abtei weiß vom Verschwinden der Reliquien?« erkundigte sich Fidelma.
»Vor denen, die in der Abtei wohnen, haben wir es leider nicht geheimhalten können. Schließlich war gestern der Tag, an dem sie den Brüdern hätten gezeigt werden sollen. Der Abt bemüht sich zwar, die Kunde nicht über die Mauern der Abtei hinausgelangen zu lassen, aber das wird nicht lange gelingen. Die Pilger brechen heute vormittag zur Küste auf. Sie werden zweifellos darüber reden. Dann ist da dieser Kaufmann aus Cashel mit seinen Gehilfen. Die halten auch nicht den Mund. Ich meine, in einer Woche wird es sich im ganzen Königreich herumgesprochen haben, vielleicht sogar in ganz Éireann. Eine gefährliche Zeit bricht an für unser Volk.«
Fidelma wußte sehr wohl, was das hieß. Es gab viele Neider, die den Sturz der Eóghanacht von Cashel begrüßen würden. Insbesondere, das mußte sie zugeben, Donennach von den Uí Fidgente. Ihm täte es nicht leid, wenn das Königreich zerfiele. Wenn das Volk durch den Verlust der Reliquien entmutigt wurde, sich in sein Schicksal ergab und
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