Tod in der Marsch
lauschte einen kurzen Augenblick, sagte dann nur knapp: »Ja, einen kleinen Moment«, und reichte den Hörer an Christoph mit der
Bemerkung weiter: »Frau Brehm! Sie sagt, es wäre dringend!«
Christoph hörte am anderen Ende der Leitung nur ein
Schluchzen. Erst nach mehrmaliger Rückfrage vernahm er Frau Brehms
tränenerstickte Stimme.
»Mein Mann ist heute zurückgekommen. Er war nach Ihrem
ersten Besuch in Panik geraten. Deshalb die Flucht. Er hatte kein Vertrauen zur
Polizei. Konnte sich nicht vorstellen, dass er als Vorbestrafter nicht auch
automatisch dieser Taten beschuldigt würde. Er rief heute Morgen an und wollte
wissen, wie es den Kindern geht. Ich hatte vor, ihm nichts von den Leuten im
Dorf zu erzählen. Von den Drohungen. Der eingeworfenen Fensterscheibe. Doch ich
konnte nicht mehr. Mittags ist er heimgekommen. Heruntergekommen sah er aus.
Völlig fertig, mein Frieder.«
»Ist Ihr Mann jetzt bei Ihnen?«, fragte Christoph.
Frau Brehm ließ seine Frage unbeantwortet. »Ich habe
ihm erzählt, was die Leute im Dorf über uns sagen. Der Bürgermeister hat die
Menschen aufgestachelt. Der ist die treibende Kraft. Der hat uns das Leben
schwer gemacht. Dann ist mein Mann los, runter ins Dorf. Er wollte sich Römelt
vornehmen.«
»Frau Brehm! Wo ist Ihr Mann? Ist er bei Ihnen zu
Hause? Wir müssen es unbedingt wissen.«
»Nein!«, sagte sie nur. »Frieder ist zum
Bürgermeister. Doch der hat ihm gesagt, unsere Familie sei in Marschenbüll
unerwünscht. Wir sollten sehen, dass wir unsere Sachen packen und verschwinden.
Jeder im Ort wisse nun um Frieders Vergangenheit. Außerdem, so hatte er meinem
Mann gedroht, würde die Polizei ihn suchen. Dringend. Der alte von Dirschau
wäre von der Polizei gebeten worden, bei der Aufklärung des Verbrechens zu
helfen. Die Kripo habe den Gutsbesitzer nach Husum geholt, damit er mit Rat und
Tat behilflich sei. Das hatte der Bürgermeister vom jungen von Dirschau
erfahren. Der war bei Römelt und hat dem Bürgermeister alles erklärt.
Anschließend ist Ralf durch den Ort gelaufen und hat die neuen Nachrichten
verbreitet. Der Junge hat den Hass gegen unsere Familie noch weiter geschürt.
Er hat das ganze Dorf gegen uns aufgehetzt.«
»Frau Brehm«, unterbrach Christoph sie. »Sagen Sie
Ihrem Mann, er soll zu Hause auf uns warten. Wir sind unterwegs. Beruhigen Sie
ihn bitte. Es ist alles in Ordnung.«
»Nichts ist in Ordnung«, stöhnte sie auf. »Frieder ist
völlig verstört. Der Bürgermeister hat ihm versichert, dass er eingesperrt
würde. Für immer. Und das wäre gut so! Frieder hatte sich im Schlafzimmer
eingeschlossen und war nicht ansprechbar. Dann ist er wieder raus, hat sich
seine Jacke angezogen und ist zu Fuß weg. Ich habe fürchterliche Angst. Ich
weiß nicht mehr weiter«, schluchzte sie durchs Telefon.
»Frau Brehm«, versuchte Christoph sie zu beruhigen.
»Wir haben den Täter. Ihr Mann ist unschuldig. Falls er wieder heimkommt,
können Sie ihn beruhigen. Und was die Hetzjagd auf Sie und Ihre Familie angeht,
werden wir die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Wir sind in Kürze bei
Ihnen.« Damit beendete er das Telefonat.
Eine ohnmächtige Wut hatte Christoph gepackt. Er nahm
sich fest vor, die offene Rechnung mit den notorischen Aufwieglern um
Bürgermeister Römelt nach Abschluss des Falles zu begleichen.
Der dichte Schnee knirschte unter ihren Füßen, als sie
das Gebäude verließen. Mit Macht trieb der Wind die weißen Wirbel vor sich her.
Sie zwängten sich zu fünft in den Dienstwagen und
tasteten sich durch die Schneeberge vorwärts. Witterungsbedingt hatten viele
Menschen auf ihr Auto verzichtet, sodass nur wenige Fahrzeuge unterwegs waren
und die Fahrspuren sofort wieder von den Schneewirbeln zugedeckt wurden.
Der unberechenbare Wind hatte an manchen Stellen den
Asphalt der Landstraße fast blank gefegt, um wenige Meter weiter vor einer
Hecke, an einem Knick oder einfach nur an einer Stelle, an der der Bewuchs des
Straßengrabens ein klein wenig hervorlugte, Schneewehen zu bilden. Mehrfach
drohten sie sich festzufahren. Die Scheinwerfer tasteten sich durch die
Dunkelheit, während die Scheibenwischer eifrig bemüht waren, den weißen
Niederschlag von den Scheiben zu fegen. Doch dann, nach einer Fahrt, die
Christoph unendlich lang erschien, tauchte das Ortsschild von Marschenbüll auf.
Friedlich lag der Ort im dichten Schnee. Beschaulich
duckten sich die dunkelrot geklinkerten Häuser in die Dunkelheit. Nahezu alle
waren
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