Tod in Innsbruck
wollte, dass sie gefunden wurde. Vielleicht war es ihm auch einfach wurscht.
Der Chef der Spusi, der gerade noch mit Mitterhofer gesprochen hatte, näherte sich.
»Severin, habt ihr was?«
»Nein, Willi, bis jetzt nichts.«
»Dann macht weiter. Sperrt großräumiger ab, sucht unter jedem Stein.«
Eine Gruppe Wanderer näherte sich und glotzte herüber.
»Und jagt die Gaffer weg. Ich kann sensationsgeile Leute nicht ausstehen.«
Heisenberg stieg von seinem Hochsitz herunter und ging gemessenen Schrittes auf die Schulklasse zu. Er nestelte an seinem Kragen und strich sich das Haar zurück. Nicht dass das viel ausgemacht hätte, bei den spärlichen Federn, die noch auf seinem Kopf sprossen.
Reine Ersatzhandlung aus Nervosität . Das bevorstehende Gespräch mit den Volksschulpädagoginnen lag ihm im Magen. Und er ärgerte sich darüber, dass er in solchen Dingen nicht souveräner war.
Als er am Abend an seinem Schreibtisch saß und sich eine Zigarette drehte, bemerkte er, dass seine Finger zitterten wie bei einem Parkinsonkranken. Nichtsdestotrotz bat er Linda, ihm einen Espresso zu bringen. Wenigstens wusste er dann, wieso er nicht schlafen konnte.
»Soll ich Ihnen eine Topfengolatsche holen, bevor der MPREIS zusperrt?«, fragte sie.
Er zögerte. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, auf die süßen Blätterteigteilchen zu verzichten, um sein ewiges Sodbrennen endlich in den Griff zu kriegen. Kalorientechnisch waren die Dinger natürlich auch höchst ungünstig.
»Ja, bitte, Linda. Das wäre lieb.«
Nach diesem fürchterlichen Tag hatte er sich eine Belohnung verdient.
Fast zwei Jahre lag der letzte Mord zurück. Zwei Jahre, in denen es ruhig gewesen war, von den Problemen mit den marokkanischen Dealern, ein, zwei Vergewaltigungen und schwerem Raub einmal abgesehen. Und jetzt musste eine zerstückelte Leiche auftauchen. Ausgerechnet drei Wochen vor seinem Urlaub, der nahtlos in die Pension übergehen sollte.
Es klopfte.
»Herein!«
Wurz steckte den Kopf ins Büro. »Ich bin mit der Recherche durch, Chef. Hab mich auf weibliche Vermisste beschränkt.«
Heisenberg wiegte den Kopf. Immer öfter leistete sich Chefinspektor Wurz Eigenmächtigkeiten. Dass es sich bei dem Opfer um eine Frau handelte, hatte Prantl schließlich nur vermutet.
»Und?«
»Wir haben Abgängigkeitsanzeigen im Raum Innsbruck-Land, in Rosenheim und im Trentino. Außerdem in Wien und in Kärnten.«
»Gut. Kontaktieren S’ die Angehörigen. Wir brauchen Haar- oder Zahnbürsten der Vermissten oder Mundabstriche der nahen Verwandten für DNA-Tests.«
»Schon erledigt, Chef.«
»Haben S’ auch um einen Personalausweis, Pass oder Führerschein gebeten?«
Wurz erblasste. »Nein. Wozu?«
»Schalten S’ Ihr Hirn ein. Um die Fingerabdrücke mit denen des Opfers abzugleichen. Das geht schneller als der DNA-Test.«
Wurz’ Wangen färbten sich scharlachrot. »Wird sofort nachgeholt.« Plötzlich hatte er es eilig.
»Und nehmen Sie sich noch die männlichen Vermissten vor, von einer Beschränkung auf Frauen hab ich nämlich nichts gesagt.«
»Aber … Prantl meinte …«
»Genau. Er meinte. Meinen und wissen sind zwei Paar Schuhe.«
»Der hat sich doch noch nie getäuscht.«
»Machen Sie’s einfach, weil ich es sage.«
Als Wurz wieder gegangen war, nahm Heisenberg ein Blatt Papier. Er griff zum Bleistiftstummel, der hinter seinem Ohr steckte, und schrieb in die Mitte des Blattes:
»Fundort – Waldspielplatz, Gramartboden.« Er zeichnete einen Kreis herum, versah ihn mit einem Pfeil nach unten und schrieb: »zwei Arme.Weiblich? Über sechzig?
Todeszeit: Samstag oder Sonntag.
Offensive Leichenzerstückelung aus Hass?
Oder defensive, um das Opfer zu beseitigen?«
Wahrscheinlich Letzteres, dachte er. Aber auch das war reine Spekulation.
»Motiv???«
Keine Ahnung. Er wusste nichts.
Wenn er Glück hatte, war das Opfer mit einer der Vermissten identisch. Im Moment war es sinnlos, sich weiter den Kopf zu zerbrechen. Es würde genauso wenig bringen wie die Befragung des Mädchens, das die Leichenteile gefunden hatte. Verärgert erinnerte er sich an die peinlichen Momente, als die jüngere der beiden Lehrerinnen ihn angeschrien und mit einer Anzeige gedroht hatte, wenn er es wagen sollte, dem armen Kind Fragen zu stellen. Erst der Überredungskunst des Psychologen gelang es, die hysterische Frau zu überzeugen, dass ein Gespräch mit der Polizei dem Mädchen helfen würde, das Erlebnis schneller zu verarbeiten.
Die Kleine
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