Tod in Innsbruck
Gläsern.
Inzwischen hatte der Pianist die Jazzballade in den höchsten Regionen des Bösendorfers verhauchen lassen. Applaus brandete auf.
Luca erhob sich, kontrollierte den Sitz seiner dunklen Brille und lächelte in die Runde. Mit leicht vorgestreckten Händen tastete er sich zur Bar.
Zwei Studentinnen gafften ihn ungeniert an. Die Tatsache, dass der Blinde ihr Starren nicht sehen konnte, ließ sie jede Hemmung verlieren. Dass Luca die begehrlichen Blicke auf seinem knackigen Po fühlte, davon war Robert überzeugt.
Klavier spielen sollte man können, dachte er mit einem Anflug von Neid.
Vera war mit dem Tablett hinter der Bar verschwunden. Sie wechselte einige Worte mit dem Barkeeper, schenkte Rotwein in ein Glas und servierte es Luca, der sie sofort in ein Gespräch verwickelte. Zu gern hätte Robert die Unterhaltung der beiden belauscht. Es war nicht zu übersehen, dass Luca alle Register seines Charmes spielen ließ. Seine Hände zeichneten Figuren in die Luft, streiften dabei Veras Schulter, ihre Wange. Eine Hand landete auf ihrem Arm. Entschlossen packte Vera sie und legte sie auf die Theke zurück.
Robert grinste. Nicht jede Frau schien auf die Papagallonummer abzufahren. Plötzlich drehte Vera den Kopf in seine Richtung, als hätte sie seine Blicke gespürt. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Schau an. Sie erinnerte sich an ihn, obwohl er geschworen hätte, dass sie damals blind vor Zorn über den Tod ihrer Schwester gewesen war. Grübchen spielten um ihre Mundwinkel, und die spitzigen Gesichtszüge wirkten beinahe weich. Erfreut erwiderte Robert das Lächeln. Im selben Augenblick bemerkte er, dass sie gar nicht ihn gemeint hatte. Ihr Blick war über seinen Kopf hinweg auf jemanden gerichtet, der hinter ihm stand. Über die Schulter erspähte er einen drahtigen Typen mit ergrauter Lockenmähne, den er noch nie gesehen hatte. Er ging auf Vera zu und umarmte sie. Auch Luca begrüßte er überschwänglich. Beide redeten auf Vera ein. Der Drahtige holte sie hinter der Theke hervor. Sie wehrte sich, aber halbherzig, dann ließ sie sich zur Bühne bugsieren. Er verschwand kurz hinter einem Wandvorsprung und kam mit einem Kontrabass zurück. Luca nahm das Mikrofon. »Liebe Freunde!« Sein R rollte bis in den hintersten Winkel des Lokals. » Carissimi amici di Jazz! Nikte nur sie serviert uns den vino , sie hat una voce stupendissima .« Er führte seine Fingerspitzen zum Mund und küsste sie. »Ische bitte um Applaus für meine neue collega , die cantante tedesca Vera Meyring.« Beifall brandete auf, durchsetzt von Gläserklirren. Vera verbeugte sich nachlässig.
»Außerdem ische begrüße eine alte Freund, il contrabbassista Joken Schramm aus Monaco.« Wieder wurde geklatscht.
Der Bassist, der vermutlich Jochen hieß und aus München kam, nickte und begann auf seinem Bass herumzuzupfen.
Luca gab das Mikro an Vera weiter und setzte sich ans Klavier. Plötzlich wurde es still im Café. Wie Farbtupfen setzte Luca die Eingangsakkorde in die Tasten. Vera stand hoch aufgerichtet in der Mitte der Bühne, ihr Oberkörper pendelte im Rhythmus des Klaviers vor und zurück. Dann öffnete sie ihre Lippen ein wenig, als wollte sie den Anfangston kosten, auf Temperatur und Farbe prüfen, ehe sie ihn losließ.
»Summer-time …«
Robert erschauerte. Schon bei seiner ersten Begegnung mit Vera hatte ihn ihre Sprechstimme fasziniert. Ihr Gesang verursachte ihm Gänsehaut. Das Timbre ihrer Stimme fühlte sich an wie nackte Haut auf Kiefernrinde …
»… and the livin’ is easy.«
… wie feinkörniges Schleifpapier …
»Fish are jumpin’ and the cotton is high.«
… und das Streicheln von Samt.
Er vergaß zu atmen.
»Your daddy’s rich and your mamma’s good-lookin’ …«
Wie war es möglich, dass eine junge, magere Weiße schwärzer sang als Cassandra Wilson und heißer als Etta James?
»So hush, little baby, don’t you cry.«
Eine Flut von Bildern begann in seinem Kopf zu kreisen. Erinnerungen an den ersten Urlaub in der Toskana mit siebzehn; an den Wind, der den Rock der Italienerin gebauscht hatte; an ihr Gesicht, als seine Hand schenkelaufwärts geglitten war, um das Darunter zu erforschen, im Olivenhain ihrer Eltern. Schwüle, glückliche Gedanken. Ihm schwindelte. Er wollte zahlen und gehen, wollte an der frischen Luft in die Realität zurückfinden. Doch sein Körper gehorchte ihm nicht. Bewegungslos blieb Robert sitzen, während Vera zwei weitere Standards sang.
Es war
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