Tod in Innsbruck
darin. »Du willst mich betrügen, nicht wahr?«, flüsterte sie.
Robert schnaubte. »Sehr witzig. Du warst es doch, die vor fünf Jahren die Scheidung eingereicht hat. Ich habe deine Worte noch im Ohr, als wäre es gestern gewesen. Ich würde dich zu sehr einengen, hast du mir vorgeworfen. Du wärest zu jung für lebenslange Haft und unschuldig.«
Brigitte schwieg.
»Ein Jahr lang habe ich auf dich gewartet. Habe gehofft, dass du deine wechselnden Männerbekanntschaften sattbekommst und zu mir zurückkehrst.«
»Das wollte ich auch. Ich … ich wollte zurückkommen.« Sie rieb ihre Hände, als würde sie sie waschen, wieder und wieder.
»Ja. Immer wenn du ganz am Boden bist. Krank. Oder wenn du kein Geld mehr hast. Dann erinnerst du dich an mich. Dann bin ich gut genug.«
»Du lügst! Du willst mir ein schlechtes Gewissen einreden, weil du eine andere hast!«
»Schrei nicht so!«
»In meinem Zimmer schreie ich, so viel ich will!«
»Wo ist deine Mutter?«
»Was weiß ich, wo die sich herumtreibt. Bist du nun meinetwegen gekommen oder wegen ihr?«
Robert wunderte sich. Seit ihrer Hüftoperation ging seine Exschwiegermutter nur zum Einkaufen vor die Tür.
»Ich habe ein Recht, zu erfahren, wer die Schlampe ist!«, brüllte Brigitte.
»Mein Privatleben ist meine Sache. Dass ich dich bisher unterstützt habe, ist mehr, als du verlangen kannst.«
Unvermittelt begann Brigitte zu schluchzen. »Du gibst mir Geld und behandelst mich wie … wie eine Aussätzige. In Wirklichkeit willst du mich nur bevormunden.«
»Du bist es, die sich zur Aussätzigen säuft. Mach endlich eine Entziehungskur!«
Brigitte stampfte mit dem Fuß auf und begann zu kreischen. »Ich will dieses Wort nicht hören! Ich will dieses scheiß Wort nicht hören!«
Robert legte ihr sanft, aber bestimmt die Hände auf die Schultern und sprach langsam und sehr leise. »Ich sage es dir im Guten: Lass die Finger vom Alkohol, wenn du willst, dass ich mich weiterhin um dich kümmere. Wenn du so weitermachst, dann …«
»Dann was?«
»… siehst du mich nie wieder. Ich habe nämlich keine Lust, dabei zuzusehen, wie du vor die Hunde gehst.«
»Und das Geld? Deine Finanzspritzen?«
»Damit ist es auch vorbei, solange du trinkst. Ich hätte dir schon viel früher den Hahn abdrehen sollen.«
Er drehte sich um und ging. Als er die Wohnungstür ins Schloss fallen hörte, atmete er tief durch. Sein Nacken schmerzte von der Last, die er sich aufgehalst hatte. Er sehnte sich danach, den Ballast abzuwerfen, endlich einen Schlussstrich zu ziehen.
Viel zu schnell fuhr er die Schützenstraße entlang. Erst als er halb Innsbruck zwischen sich und seine Vergangenheit gebracht hatte, entspannten sich seine Schultern, und der Kopf wurde frei und leicht. Federleicht.
* * *
Sie sprang auf, wollte ihm nacheilen. Mit dem Fuß stieß sie gegen eine leere Schnapsflasche, die scheppernd über den Parkettboden rollte. Sie stolperte, stürzte auf das Knie, das sie sich kürzlich aufgeschlagen hatte. Den Schmerz spürte sie nicht. Nur Wut. Flammende Wut, heiß und hellrot.
Brigitte packte die Flasche mit beiden Händen und schleuderte sie gegen die Wand, dass die Scherben in alle Richtungen spritzten. Den scharfkantigen Flaschenhals hob sie auf und fiel damit über das Bild her. Wie in einem Rausch zerfetzte sie es; wartete darauf, dass die Leinwand zu bluten begänne.
»Du hast also eine Neue«, kreischte sie. »Hast gedacht, du könntest sie vor mir geheim halten. Aber ich finde heraus, wer die Schlampe ist. Die soll mich kennenlernen!« Der Wutanfall verebbte so rasch, wie er gekommen war, und Müdigkeit ließ ihre Glieder schwer werden.
Jetzt wäre ein Cognac gut . Der teure, den ihre Mutter versteckt hatte.
Brigitte wusste, wo. Und Mutter würde ihr ganz bestimmt nicht in die Quere kommen.
* * *
Vera setzte sich auf eine der Stufen, die zum Eingang des Musikgymnasiums führten, und schielte auf ihre Armbanduhr. Noch sieben Minuten bis zum Klingelton.
Vor ihr im Staub lag eine angebissene Karotte, die sie mit dem Fuß zur Seite kickte. Sie musste an Isas Zwerghasen denken: Klecks, den Verfressenen. Für einen Haps Karotte hätte er Männchen gemacht, und seine Nase hätte wie wild gezuckt. Genau wie Roberts Nase gestern. Vera lachte leise.
Was für ein seltsamer Mensch dieser Robert war. Oberarzt an der Unfallambulanz der Uniklinik und rechte Hand von Professor Lechtenbrink. Doch im Unterschied zu allen Oberärzten, die sie bisher
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