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Tod in Innsbruck

Tod in Innsbruck

Titel: Tod in Innsbruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Avanzini
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kennengelernt hatte und die vor Testosteron und Arroganz kaum laufen konnten, wirkte er absolut sympathisch. Bescheiden. Fast ein bisschen schüchtern. Als es im Blue Note ruhiger geworden war, hatte sie sich wunderbar mit ihm unterhalten. Er schien ein echter Musikfreak zu sein und wusste eine Menge über die alten Blues- und Jazzsängerinnen von Ma Rainey und Bessie Smith bis Sarah Vaughan und Nina Simone. Dass er sie, Vera, mit Cassandra Wilson verglichen hatte, war natürlich pure Schmeichelei. Trotzdem war dieses denkbar größte Kompliment wie Öl durch ihre Gehörgänge geflossen. Ein attraktiver Typ, dieser Robert. Nougataugen, zerwuschelte Locken und Hände, die unsagbar filigran wirkten. Viel zu zart für seinen athletischen Körper. Ob er öfter ins Blue Note kam?
    Die Schulglocke riss Vera aus ihren Gedanken.
    Mist. Da sitze ich und denke ans Flirten, anstatt mich auf das zu konzentrieren, was wichtig ist. Auf Isa und den, der schuld ist an ihrem Tod.
    Stimmengewirr schlug an Veras Ohr. Schon drängte ein Rudel Schüler aus dem Haupteingang des Musikgymnasiums. Rasch sprang sie auf und machte einem pickelgesichtigen Jungen Platz, der sie sonst vermutlich umgerannt hätte.
    Als die große Masse sich verlaufen hatte und nur noch einzelne Nachzügler aus dem Schulgebäude tropften, erkannte Vera ein blondes Mädchen mit einem Geigenkoffer. Sie ging auf die Kleine zu und winkte.
    »Hallo, Sarah. Hast du kurz für mich Zeit?«
    Das schmale Lächeln auf Sarahs Mund schien einzufrieren. »Vera«, stammelte sie. »Es tut mir so leid, was mit Isa passiert ist. Ich …« Sie starrte auf ihre Schuhspitzen und schwieg.
    Sekundenlang.
    Dann sprudelte es aus ihr hervor. »Ich habe ihr gesagt, sie soll aufhören mit dem Scheiß. Sie soll endlich wieder was essen. Angefleht hab ich sie, aber sie wollte nicht hören. Hat total dichtgemacht und sich nichts mehr sagen lassen.«
    Das kam Vera bekannt vor. Bernie hatte ganz ähnlich reagiert.
    Sarah setzte ihren Geigenkoffer ab. »Es gab sogar Krach deswegen. Wir haben uns gegenseitig ziemlich gemeine Sachen an den Kopf geworfen. Danach bin ich auf Distanz gegangen. Mensch, ich war stinksauer. Und jetzt, jetzt ist sie tot, und ich fühle mich schuldig.«
    »Für Isa gab es einen guten Grund, das Essen zu verweigern. Mit eurem Streit hat das gar nichts zu tun.« Vera pausierte einen Augenblick. Sie musste ihre Worte mit Sorgfalt wählen, damit sie Sarah nicht vor den Kopf stieß. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass Isa sexuell missbraucht wurde.«
    Sarah keuchte auf.
    Vera ließ das Mädchen nicht aus den Augen. Wusste sie etwas? Ihre Überraschung wirkte überzeugend, die schreckhaft erweiterten Pupillen und die blutleeren Wangen konnte sie nicht vortäuschen.
    »Ich weiß nur nicht, von wem«, fuhr Vera fort. »Hilfst du mir, es herauszufinden?«
    Sarah nickte.
    »Hat Isa je irgendetwas in dieser Richtung erwähnt? Hat sie vielleicht eine Anspielung gemacht, die du damals nicht beachtet hast, die dir aber aus heutiger Sicht merkwürdig vorkommt?«
    »Ihr ganzes Verhalten war merkwürdig. Sie ist mir aus dem Weg gegangen.«
    »Seit wann war sie so komisch?«
    »Seit einem Monat ungefähr. Wenn ich es mir so überlege, seit unserer Fahrt nach Bologna.«
    Vera zog die Brauen hoch. »Du meinst das Schülerkonzert im Mai?«
    Sarah nickte. »Das Konzert war ein voller Erfolg, Isa hat toll gespielt, wir anderen auch. Danach wurde gefeiert. Es gab Prosecco und ein leckeres Buffet. Ich glaube, an dem Abend ist niemand nüchtern geblieben.« Sie blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wir waren in einem Dreibettzimmer untergebracht. Isa, Ruth und ich. Kurz vor Mitternacht sind Ruth und ich schlafen gegangen. Isa war plötzlich verschwunden. Zufällig habe ich mitgekriegt, wie sie gegen Morgen ins Bett geschlichen ist. Und auf der Heimreise war sie wie ausgewechselt. Hat nur aus dem Busfenster gestarrt und vor sich hin geschwiegen.«
    »Du glaubst also, dass in Bologna etwas passiert sein muss?«
    »Zuerst habe ich nur gedacht, sie ist müde vom langen Feiern. Dass mit ihr etwas nicht stimmte, ist mir erst hinterher aufgefallen.«
    »Wer war denn außer euch dreien noch in Bologna?«
    »Ein Klarinettist und ein Trompeter, beide achtzehn.« Sarah errötete.
    »Könnte Isa mit einem von denen …?«
    »Nein, auf keinen Fall! Also mit Mirko, dem Trompeter, lief bestimmt nichts. Das weiß ich, weil … weil ich mich damals in ihn verknallt habe.« Ihre Gesichtsfarbe hätte einer

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