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Tod in Innsbruck

Tod in Innsbruck

Titel: Tod in Innsbruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Avanzini
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Vermutung.
    Sie hatte schon öfter überlegt, unter welchem Vorwand sie sich in der Akademie herumtreiben und Nachforschungen anstellen könnte. Ausgerechnet Luca hatte sie gestern auf eine Idee gebracht.
    »Du bist begabt, carissima «, sagte er. »Du solltest Gesang studieren.« Er empfahl ihr, sich einige Jahre intensiv mit klassischer Stimmbildung auseinanderzusetzen und sich dann auf Jazzgesang zu spezialisieren.
    »Geh doch an die Musikakademie«, sagte Luca.
    Vera glaubte nicht, dass sie die Aufnahmeprüfung bestehen würde. Sie hatte nie Unterricht bekommen. Doch Luca redete ihr zu, es zu versuchen. Er riet ihr, Joyce Jameson vorzusingen, einer Sopranistin aus Guernsey, die schon vor Jahren ihre Gesangskarriere beendet hatte und an der Tiroler Musikakademie eine Liedklasse leitete. Einige verheißungsvolle Nachwuchssänger waren durch ihre Hände gegangen.
    Die Vorstellung, ihre Stimme zu schulen, verlockte Vera.
    Außerdem – und das war im Moment das Wichtigste – hätte sie als Studentin unbeschränkten Zugang zur Musikakademie und könnte in Ruhe ihre Recherchen anstellen.
    Gesagt, getan. Sie beschloss, sofort bei Professor Jameson vorzusprechen, und lenkte ihre Schritte den Burggraben entlang. Wenn die Gesangslehrerin ihr eine Abfuhr erteilte, musste sie sich etwas anderes ausdenken, um an Informationen über René heranzukommen.
    Als sie vom Franziskanerplatz in die Universitätsstraße einbog, sah sie hinter den Kammerspielen die prächtige Fassade der Musikakademie auftauchen. Sie erinnerte Vera an ihren Venedigbesuch im letzten Sommer und an den Palazzo Grassi, der allerdings weit mehr Charme zu bieten hatte; vielleicht aufgrund des Wassers, das anstelle parkender Autos an seinen Stufen leckte.
    Kaum stand Vera vor dem Portal, war der imposante Eindruck der klassizistischen Architektur verflogen. Hinter den vier Marmorsäulen blieb nur der schale Geschmack vorgetäuschter Pracht, die sich als Schäbigkeit entpuppte.
    Im Foyer roch es muffig. Beethoven blickte weiß und streng auf Vera herab, als wäre er erbost über ihre Frechheit, diese heiligen Hallen zu betreten. Am Treppenaufgang starrte Richard Wagner über sie hinweg in eine nur ihm bekannte Zukunft. Unbeeindruckt stieg Vera die knarrenden Holzstufen hinauf in den ersten Stock.
    Vor einer Tür, aus der gequetschte Laute drangen, blieb sie stehen.
    »Prof. Joyce Jameson, Liedklasse«, las sie auf dem Türschild.
    Ehe sie klopfen konnte, wurde die Tür aufgerissen.
    Erschrocken sprang Vera zurück.
    Eine platinblonde junge Frau stürzte aus dem Zimmer und sah ziemlich zerknautscht aus. Der schwarze Lidstrich unter ihrem rechten Auge war zerlaufen, eine dunkle Spur zog sich über die Wange. Sie rauschte davon, als wären wilde Tiere hinter ihr her.
    Wenn das kein gutes Omen ist, dachte Vera, atmete tief durch, klopfte und trat ein.
    Frau Professor Jameson saß am Fenster, den Kopf schief gelegt, und sah Vera aus leicht zusammengekniffenen Augen an. Die schmalen Lippen, die gebogene Nase und der klare Blick verliehen ihr das Aussehen eines Vogels. Eines Raubvogels.
    »Guten Tag, Frau Jameson. Mein Name ist Vera Meyring. Ich möchte gern Gesang studieren. Darf ich Ihnen etwas vorsingen?«
    »Ich mag Leute, die sofort zur Sache kommen.« Die Jameson lächelte vieldeutig. »Komm rein, Honey. Ich bin Joyce. Dein Timing ist grandios, denn meine Schülerin Miss Hoffnungslos hat gerade vorzeitig das Schlachtfeld geräumt.« Sie zog die Nase kraus. Mit einem Hopser sprang sie vom Stuhl und setzte sich an den Flügel, der mitten im Raum stand. Sogleich ließ sie ihre Hände über die Tasten gleiten und spielte einige Arpeggien. Nicht virtuos, aber von einer geschmeidigen Selbstverständlichkeit, die Vera zum Staunen brachte. Sie hatte klassische Sängerinnen bisher für zu divenhaft gehalten, um ihnen gutes Klavierspiel zuzutrauen. Ein Vorurteil, das sie dringend korrigieren musste.
    »Was willst du singen?«
    Vera erschrak. Natürlich hatte sie sich keinerlei Gedanken darüber gemacht. Sie räusperte sich. »Also ich … ich habe noch nie Gesangsunterricht gehabt und kann nichts Klassisches.«
    »Gar nichts? Wie kommst du dann auf die Idee mit dem Studium?«
    Sie spürte eine Hitzewelle aufsteigen. Da war sie wohl etwas voreilig gewesen. »Luca hat mich darauf gebracht. Luca Briguglia. Er hat mich bei einigen Jazzstandards begleitet und meinte, ich soll …«
    »Ah, Luca.« Joyce lächelte wieder. Breiter diesmal und vieldeutiger. »Der

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