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Tod in Innsbruck

Tod in Innsbruck

Titel: Tod in Innsbruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Avanzini
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der Hungerburg. Sie musste in mehrfacher Hinsicht ein Wunderkind sein, denn sie hatte einige Klassen übersprungen, mit vierzehn ihr Abitur gemacht – die Matura, wie die Österreicher sagten – und mit fünfzehn an der Wiener Musikuniversität das Konzertdiplom erworben.
    »Und was machst du dann noch in Innsbruck, wenn du schon fertige Pianistin bist?«
    »Ach, als Pianistin ist man nie fertig. Es gibt immer etwas dazuzulernen.«
    »Wäre da nicht das Ausland interessanter? New York? Paris?«
    Mette lachte. »Einstweilen fühle ich mich hier sehr wohl.«
    »Was ist Sofronsky eigentlich für ein Lehrer?«
    »Ein großartiger. Einer der besten, glaube ich. Er bringt alles auf den Punkt, hört sofort jede Kleinigkeit, die nicht stimmig ist. Und er zwingt dir nichts auf, sondern hilft dir, deine eigene Interpretation zu finden.«
    Das war für Vera nichts Neues. Auch Isa hatte diese Einschätzung vertreten. »Und sonst? Ich meine, wie ist er als Mensch?« Sie fuhr sich durchs Haar und rupfte an einer Strähne.
    »Sympathisch. Wie ein Vater. Streng, aber gerecht. Für ein Lob aus seinem Mund würden manche seiner Schüler ihre Großmutter verkaufen.« Mette sah Vera an, ohne zu blinzeln. Wie ein Strahlenkranz umgaben ihre hellen Wimpern die Augen.
    »Jetzt könntest du mal etwas von dir erzählen. Spielst du auch ein Instrument?«
    Vera überlegte, ob sie Mette verraten sollte, dass sie Isas Schwester war und was sie eigentlich hier wollte. Schließlich entschied sie sich dagegen. Nein, sie würde zuerst versuchen, Mettes Vertrauen zu gewinnen. »Ich studiere Gesang. Das heißt, sofern ich die Aufnahmeprüfung im Herbst bestehe.«
    »Hast du schon einen Klavierbegleiter für die Prüfung?«
    »Brauche ich das?«
    »Nicht unbedingt. Normalerweise begleitet einer der Korrepetitoren die Prüfungen. Aber wäre doch cool, wenn du mit einer eigenen Pianistin ankommst, oder nicht?«
    »Äußerst cool, ja. Ich fürchte nur, ich kann mir keine eigene Pianistin leisten.«
    »Wenn du willst, begleite ich dich. Umsonst. Und ich bin gut, hörst du? Die beste, die du kriegen kannst.« Mette klopfte mit ihrem Zeigefinger auf die Tischplatte.
    Vera musste grinsen. Sie fragte sich, ob sie heute besonders bemitleidenswert aussah, weil ihr an ein und demselben Tag zwei verschiedene Menschen etwas schenken wollten.
    »So ein Angebot kann man nicht ausschlagen. Prima! Ich freue mich.«
    Mette klatschte in die Hände. »Fein. Dann bis demnächst. Ich muss jetzt zu meiner Probe.« Sie leerte ihre Tasse und stand auf. »Morgen gebe ich einen Klavierabend im Ferdinandeum. Kommst du?«
    »Hey, das ist ja phantastisch! Morgen habe ich nämlich frei. Das lasse ich mir auf keinen Fall entgehen. Wo ist das?«
    »Das Landesmuseum in der Museumstraße. Der Bau mit den beiden Sphinxen. Nicht zu übersehen.« Mette lächelte ihr süßes Kleinmädchenlächeln. »Danke für die heiße Schokolade, Vera. Tschüs.« Mit wehendem Röckchen trippelte sie hinaus.
    »Toi, toi, toi für morgen!«, rief Vera ihr nach.
    Was für ein merkwürdiges Geschöpf!

SECHS
     
    Es mussten Hunderte von Maden sein. Gut genährte alabasterfarbene Maden, die Kopf voraus im toten Fleisch steckten, während sich ihre Hinterleiber wanden, als tanzten sie zu einer grotesken Musik. An den Schnittstellen waren sie eingedrungen, hatten sich unter der Haut weitergefressen, um anderenorts wieder ans Tageslicht zu kommen. Wie ein zusätzliches Gefäßsystem sahen ihre Fraßspuren aus.
    Heisenberg presste sein Taschentuch vor Mund und Nase, doch der süßliche Geruch sickerte durch den Stoff. Diesmal überkam ihn die Übelkeit nicht als vorhersehbare Welle, sie hieb ihm – zack! – ihre eiserne Faust in den Magen. Mit einem Stöhnen konnte er gerade noch den Kopf wegdrehen und übergab sich auf den Waldboden.
    »Verdammte Sauerei«, krächzte er, als die Krämpfe endlich nachgelassen hatten, und sah sich nach seinen Leuten um.
    Hinter dem mächtigen Stamm einer Buche hockten Wurz und Mitterhofer. Sie wandten Heisenberg den Rücken zu.
    »Wo bleibt der Alte?«
    Er wollte sich gerade bemerkbar machen, doch irgendetwas ließ ihn verharren.
    »Müsste bald da sein. Wartet, bis wir die Drecksarbeit erledigt haben. Wetten, er kotzt sich die Seele aus dem Leib, wenn er die Maden sieht?«
    Wurz, du Hund.
    Beide Männer lachten. Bei Wurz klang es nach Ziegengemecker, bei Mitterhofer nach Loch im Auspuff.
    »Gibt’s das? Dass einer so lange dabei ist und so einen empfindlichen Magen

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