Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in Innsbruck

Tod in Innsbruck

Titel: Tod in Innsbruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Avanzini
Vom Netzwerk:
Stimmbänder aus Glasscherben zusammengeklebt. Sein Herz geriet kurzzeitig aus dem Takt, ehe es schneller weiterschlug. Robert stürzte sich in den Schacht und jubelte, als die Glasscherben das Sicherheitsseil glatt durchtrennten.

ACHT
     
    Inzwischen fällt es mir leicht, in den Keller zu gehen, sogar ohne Fleischmesser in der Hand.
    Es riecht nach verwelkten Blumen. Als hätte jemand ein ganzes Zimmer mit Blumensträußen angefüllt und gewartet, bis sie sich im fauligen Wasser ihrer Vasen auflösen.
    Vier Nächte ist es her. Unter großen Mühen habe ich sie aus dem Vorratskeller hierhergeschleppt, in die Waschküche; habe ihr die Kleider vom Leib geschnitten, ihren Körper gewaschen. Das ganze Blut weggewaschen. So viel Blut.
    Friedlich sah sie aus mit diesem schiefen Lächeln im Gesicht. Beinahe dankbar.
    Doch schon nach wenigen Stunden ist ihr Lächeln zu einem hexenhaften Grinsen ausgehärtet. Im Gartenhäuschen fand ich eine Hacke.
    Ich habe die Klinge entrostet und geschärft und Arme, Beine und Kopf abgetrennt. Die Gliedmaßen brauche ich nicht für mein Werk, ich habe sie im Wald deponiert.
    Der Kopf schwimmt jetzt in Slibowitz, im größten Einweckglas, das die Vorratskammer zu bieten hatte. Vom Regal aus beglotzt das Haupt den Rumpf, auf dem es einst saß. Bewundernd starrt es auf das Kunstwerk, das ich seit zwei Tagen in die Haut steche, die inzwischen grün geworden ist. Dunkelgrün.
    Stundenlang lasse ich die Nadeln über ihren Rücken tanzen. Zuerst steche ich die Umrisse, dann fülle ich die Flächen mit Farben. Immer wieder steche ich zu tief. Die Tätowiermaschine hat ihre Tücken, ich brauche mehr Übung.
    Je öfter ich den Moment ihres Todes Revue passieren lasse, umso mehr begreife ich die Größe dieses Augenblicks.
    Als hätte ich einen Cocktail aus Macht, Stärke, Unbesiegbarkeit, höchster Lust und Liebe getrunken; ja, auch aus Liebe, einer umfassenden Liebe zu den Menschen.
    Und mit der Liebe kam die Inspiration.
    Nietzsche hatte recht.
    »Damit es Kunst gibt, damit es irgendein ästhetisches Tun und Schauen gibt, dazu ist eine physiologische Vorbedingung unumgänglich: der Rausch.«
    Genau so habe ich es erlebt. Der Akt des Tötens hat zum Rausch geführt, der Rausch zum Kunstwerk. Der ekstatische Zustand beim Durchschneiden ihrer Kehle muss den Kokon gesprengt haben, der so lange meine Brust eingeschnürt und mir das Atmen erschwert hat; meine künstlerische Metamorphose wurde in Gang gesetzt. Bisher war ich nur eine Larve. Jetzt bin ich ein Schmetterling, der zum ersten Mal seine Flügel ausprobiert.
     
    Ich hocke vor dem aufgedunsenen Torso und ignoriere den Gestank, ignoriere die Schmeißfliegen, die er angelockt hat. Sie müssen durch die Türritze oder durchs Schlüsselloch eingedrungen sein.
    Mit zusammengekniffenen Augen betrachte ich mein Werk.
    Was ist das?
    Ich entdecke Fehler. Schlampigkeiten. Verschwommene Konturen. Verzogene Arabesken. Eingedellte Kreise.
    Ich habe es versaut.
    Mit dem Finger fahre ich eine Linie nach.
    Die Haut platzt, Flüssigkeit spritzt mir ins Gesicht. Stinkende Fäulnisflüssigkeit. Ich springe auf. Ekel schnürt mir die Kehle zusammen.
    Was für ein Mist! Das ist kein Kunstwerk, sondern purer Dilettantismus. Stümperei.
    Wütend versetze ich dem Torso einen Tritt. Eine Schar Fliegen stiebt auf, dreht eine Runde und lässt sich wieder auf dem toten Fleisch nieder. Ich schlucke meinen Abscheu hinunter und zerre einen Müllsack über den ekligen Rumpf. Der Torso ist zu schwer, um ihn in den Wald zu bringen. Ich müsste ihn zerhacken, aber plötzlich ekelt mich vor der Sauerei. Also werde ich ihn gut verschnüren und zu den Putzmitteln in den Schrank sperren.
     
    Ich benötige neues Material, um den Umgang mit dem Tätowiergerät zu perfektionieren.
    Nicht fett, alt, tot.
    Was ich brauche, ist glatte, junge, lebendige Haut.

NEUN
     
    Vera betrachtete seine Brust, die sich regelmäßig hob und senkte. Mit einem leisen Grunzen drehte Robert sich auf die Seite, ohne aufzuwachen. Sie entdeckte zwei sternförmige Narben unterhalb seines Knies, die aussahen, als hätte er eine unliebsame Begegnung mit Stacheldraht gehabt. Die muskulösen Beine bewiesen, dass er in seiner Freizeit viel Sport trieb. Sie mündeten in zierliche Füße, mit pfirsichfarbenen Knubbeln als Zehen. Er bewegte sie im Schlaf.
    Kleinmädchenfüße und Finger wie Spinnenbeine.
    Leise stand Vera auf, sammelte ihre verstreuten Kleidungsstücke ein und zog sich an. Draußen begann es

Weitere Kostenlose Bücher