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Tod in Innsbruck

Tod in Innsbruck

Titel: Tod in Innsbruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Avanzini
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radikale Änderung. Er müsste mit Brigitte Schluss machen und lernen, die Reize seiner minderjährigen Schülerinnen an sich abprallen zu lassen. Vielleicht mit der Hilfe eines fachkundigen Psychologen.
    Dann müsste er nur noch Sonja von seiner Wandlung überzeugen. Sie schwängern.
    Ein Kind würde sie weicher machen, da war er sich sicher. Mit zweiundfünfzig hatte er den Höhepunkt seiner Karriere längst überschritten. Höchste Zeit für einen Stammhalter.
    Die dritte Möglichkeit erschien ihm bei Weitem die beste. Er bog in die Kaiserjägerstraße ein und ging in Richtung Akademie, die um diese Zeit bestimmt wie ausgestorben war. Er würde noch zwei, drei Stunden üben. Die Goldberg-Variationen. Das passende Werk, wenn es galt, schwierige Entscheidungen zu treffen.
    Als er die Universitätsstraße erreichte, piepte sein Handy los. Obwohl die Stimme nicht viel mehr als ein Flüstern war, erkannte er sie sofort. Was sie sagte, klang so unglaublich, dass er vergaß, weiterzuatmen. Ihm schwindelte.
    Er griff sich an die Stirn. Dann füllte er seine Lungen mit Luft und schritt schneller aus. Er lächelte.

FÜNFZEHN
     
    Der Klang zittert noch für Augenblicke in der Luft, als er schon die Hände von den Tasten gezogen hat, um sich mir zuzuwenden. Er lächelt. Überraschung spiegelt sich in seinem Lächeln, Freude, aber auch eine Winzigkeit Zweifel.
    Er schaut mir in die Augen. Die Spritze in meiner Hand bemerkt er nicht.
    Erst als er die Nadel in seinem Oberschenkel fühlt, wundert er sich, wie man sich über den Stich einer Wespe wundert, die man nicht heranfliegen sah. Das Lächeln friert ein.
    Eins. In seinen Pupillen lese ich Angst und so etwas wie Erkenntnis. Als begriffe er sein unausweichliches Schicksal, ja, als sehne ein Teil von ihm es herbei.
    Fünf. Er hebt die Hand.
    Sechs. Die Hand verliert ihren Schwung und sinkt abwärts.
    Neun. Wie in Zeitlupe sackt er zusammen.
    Zehneinhalb. Sein Körper schlägt am Boden auf.
    Ihn in die richtige Position zu zerren und zu entkleiden ist Schwerarbeit. Das Herrichten meiner Werkzeuge und die Arbeitsvorbereitungen sind dagegen schnell erledigt. Man merkt, dass ich schon ein bisschen Routine habe. Ein schönes Gefühl.
    Fünf Stunden bleiben mir für mein Werk. Ich schalte das Tätowiergerät ein, freue mich, wie anmutig die Nadeln über die Brust tanzen, die ich zuvor rasiert habe. In einem Affenzahn perforieren sie die Haut, hinterlassen eine feine Blutspur.
    Sein Blut kommt mir dunkler vor als das des Blinden. Bordeauxrot.
    Als die Nadelarbeit erledigt ist, schneide ich mit dem feinen Skalpell drei parallele Linien quer über seine Brust. Er zuckt nicht, liegt immer noch in tiefer Betäubung. Einen Augenblick lang glaube ich, dass er schon tot ist, an einer Überdosis des Narkotikums gestorben. Erst als ich mit Alkohollösung das Blut wegwische, beginnen seine Lider zu flattern. Ich fotografiere mein Werk aus allen Perspektiven. Jetzt stöhnt er; öffnet die Augen, versucht den Blick auf mein Gesicht zu fokussieren. Es gelingt ihm nicht.
    Ich neige meinen Mund zu seinem Ohr. »Also sprach Zarathustra. Und er wartete auf sein Unglück die ganze Nacht: aber er wartete umsonst. Die Nacht blieb hell und still, und das Glück selber kam ihm immer näher und näher. Gegen Morgen aber lachte Zarathustra zu seinem Herzen und sagte spöttisch: ›Das Glück läuft mir nach. Das kommt davon, dass ich nicht den Weibern nachlaufe. Das Glück aber ist ein Weib.‹«
    Todesangst wohnt in seinen Augen. Aber ich lese auch eine Bitte darin. Die Bitte um Erlösung.
    Ehe ich ihm diese Bitte erfülle, entferne ich jenes Stück seines Körpers, das ihm letztlich mehr Unglück als Lust eingebracht hat.

SECHZEHN
     
    Heisenbergs Blick fiel auf einen Pfingstrosenstrauch. Das kräftige Rot erinnerte ihn an das Blut. Den See von Blut, in dem der entmannte Leichnam mit durchschnittener Kehle gelegen hatte. Er roch sogar den süßlich-metallischen Duft, obwohl er wusste, dass es in dem schönen alten Garten, den er durchquerte, bestenfalls nach Flieder riechen konnte.
    In seiner Westentasche fand er die Spezialcreme gegen Verwesungsgeruch, ein Geschenk von Prantl. Ob sie auch gegen Gestank half, den das Gehirn einem vorgaukelte?
    Er verrieb ein wenig auf der Oberlippe und um die Nasenlöcher. Zarter Vanilleduft beschwor Bilder von Weihnachtsbäckerei herauf.
    Besser.
    An der Haustür hielt er einen Moment inne, sammelte sich. Jetzt fühlte er sich in der Lage zu klingeln.
    Nach einer

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