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Tod in Innsbruck

Tod in Innsbruck

Titel: Tod in Innsbruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Avanzini
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gefühlten Ewigkeit öffnete sich die Tür um einen Spalt.
    Eine junge Frau musterte ihn. Ihr schwarzes Haar war zu einem dicken Zopf geflochten.
    Heisenberg zögerte. »Guten Tag, Frau … oder Fräulein Sofronsky?«
    Sie verzog den Mund zu einem Lächeln, das ihre Augen unbeteiligt ließ. »Frau.«
    »Wilfried Heisenberg, Landeskriminalamt.« Er hielt ihr die Dienstmarke vor die Augen.
    »Was wollen Sie? Ist etwas passiert?« Der Anblick der Kokarde hatte sie verunsichert.
    »Darf ich reinkommen?«
    »Natürlich. Entschuldigen Sie.« Sie führte ihn ins Wohnzimmer und deutete auf eine Ledergarnitur, die noch neu aussah. Wie ein großes Tier stand ein Flügel mitten im Raum, mit geöffnetem Maul, und erinnerte Heisenberg an das scheußliche Szenario in der Musikakademie.
    »Bitte setzen Sie sich.«
    Seufzend ließ er sich in die weichen Lederpolster fallen. Frau Sofronsky nahm ihm gegenüber Platz.
    Er überbrachte die Todesnachricht mit ruhiger Stimme und verwendete die bewährten Floskeln, die er vor vielen Jahren im Kommunikationsseminar gelernt hatte. Dabei beobachtete er sie genau.
    Ihre Pupillen weiteten sich für einen Moment. Sonst regte sich kein Muskel in ihrem Gesicht. Kein hysterischer Anfall, keine Tränenflut, nicht einmal ein Schluchzen.
    »Haben Sie sich nicht gewundert, dass Ihr Mann gestern nicht nach Hause gekommen ist?«
    »Wir hatten eine Auseinandersetzung. Danach ist er noch einmal weggegangen.« Ihre Stimme zitterte leicht, kaum hörbar. »Wie hat er sich …?«
    »Ach so, Sie denken an Selbstmord. Nein, Ihr Mann wurde ermordet.«
    Sie senkte die Lider.
    Heisenberg hob die Hand, um sie auf ihren Arm zu legen, aber sie zog den Arm weg.
    »Keine Angst, ich werde nicht in Tränen ausbrechen.«
    »Sie wirken so gefasst, als hätten Sie den Tod Ihres Mannes erwartet.«
    »Natürlich nicht.«
    »Aber ein Selbstmord hätte Sie nicht verwundert. War Ihr Mann depressiv?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Worum ging es in dem Streit?«
    »Um Kleinigkeiten. Was einen im Ehealltag so aufreibt.«
    Während er in ihren Augen nach Widersprüchen forschte, hatte er das Gefühl, zwei Steine zu betrachten. Ächzend erhob er sich aus den weichen Polstern und ging zum Fenster. Blickte in den Garten hinaus.
    »Wie beurteilen Sie Ihre Ehe?«
    »Gut. Wenn unsere Liebe auch nicht mehr das war, was man himmelhoch jauchzend nennt. Vielleicht haben wir uns ein bisschen auseinandergelebt. Für Sergej gab es in erster Linie die Musik, seine Karriere, seine Schüler. Und ich, ich habe mich ab und zu gelangweilt.«
    Heisenberg fasste ihren Schmuck ins Auge, das edle Kostüm. Die Einrichtung, die man wohl als »stylish« bezeichnen musste. Typischer Fall von Saturiertheit, dachte er.
    »Dennoch haben wir uns gegenseitig respektiert.«
    »Sie sind viel jünger als Ihr Mann. Haben Sie ihn je betrogen?«
    »Niemals.« Ihre Stimme klang eine Nuance höher als zuvor. Angespannt.
    »Und was ist mit Kindern?«
    Sie flocht ihren Zopf neu. »Damit wollten wir noch ein wenig warten.«
    Jetzt lügst du, Mädchen.
    »Ein schönes Haus haben Sie hier.« Er machte eine umfassende Bewegung. »Sind Sie die Alleinerbin?«
    »Das Haus hat schon immer meiner Familie gehört. Sergej besaß nichts, als er aus Russland gekommen ist.«
    Eine höhere Tochter also. Eine Erbschaft als Motiv fiel damit weg.
    »Eine Frage, die ich Ihnen nicht ersparen kann.« Er senkte die Stimme. »Was haben Sie heute zwischen fünf und halb sechs Uhr früh gemacht?«
    »Geschlafen. Bis halb neun. Und dafür gibt es keine Zeugen.«
    »Können Sie mir den gestrigen Abend schildern?«
    »Ich habe gestrickt. Sergej ist abends um halb zehn nach Hause gekommen, von einer Kammermusikprobe. Wir haben uns gezankt, er ist wieder gegangen. Ich habe weitergestrickt.«
    »Haben Sie ein Faible für Handarbeiten?«, fragte Heisenberg verwundert.
    »Schon immer. Ich stricke, sticke, häkle und nähe gern.«
    Hat alles mit Nadeln zu tun, sinnierte er und legte die Information in seinem Gehirn ab.
    »Kurz vor Mitternacht bin ich schlafen gegangen.«
    »Hatte Ihr Mann Feinde?«
    Sonja Sofronsky zögerte einen Augenblick mit der Antwort. Sie war offensichtlich auf der Hut. »Nicht dass ich wüsste.«
    »Irgendetwas verschweigen Sie mir«, sagte Heisenberg auf gut Glück.
    Sie zog die Nase kraus. »Gestern …«, sie räusperte sich, »gestern war jemand hier, eine junge Frau. Sie wollte mit mir sprechen. Sie hat behauptet, Sergej hätte ihre Schwester sexuell missbraucht. Ihre Schwester

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