Tod in Lissabon
seinen Revolver gelegt, mit den Fingern der rechten über seine gebrochene Nase strich.
Felsen verteilte die Ausweise, und die Männer musterten sie im schwachen Licht.
»Hat Schmidt Fotos mitgebracht?«, fragte Felsen, als wäre jener gar nicht im Zimmer.
Schmidt zog ein Päckchen aus seiner Weste und warf es auf den Tisch.
»Die Beschaffung neuer Papiere könnte Wochen dauern«, sagte Felsen.
»Wir haben es nicht eilig«, erwiderte Lehrer. »Wir genießen den Frieden. Du hast ja keine Ahnung, was für ein Chaos wir durchmachen mussten.«
Die fünf Männer nickten ernst. Felsen schenkte neuen Alkohol aus und suchte in den Gesichtern der Männer nach Spuren ihrer Torturen. Die Männer sahen alle miteinander erschöpft aus, doch das Essen und Trinken hatte sie so weit wieder belebt, dass sie nun aussahen wie Rentner auf einer sommerlichen Spritztour zum nächsten Badeort.
Sie tranken bis Mitternacht. Sie tranken, bis Hanke, Fischer und Wolff davonstolperten, hinter ihnen der wachsame Schmidt. Abrantes hatte sich, gelangweilt von der Unterhaltung der Deutschen, schon um zehn hingelegt. Lehrer und Felsen gingen mit einer Sturmlaterne und einer weiteren Flasche Cognac hinaus auf die Terrasse. Sie zündeten sich Zigarren an, deren Qualm erst eine Weile in der Luft waberte, bevor er sich in der Nacht verflüchtigte, die jetzt leicht nach Apfelsinenblüten roch, deren Aroma noch in den Bäumen des umfriedeten Gartens hing.
»Es hat geklappt«, sagte Lehrer und betrachtete die Glut seiner Zigarre. »Es hat alles bestens geklappt. Dank dir, Klaus.«
»Von allen Menschen«, sagte Felsen, die sentimentale Stimmung aufgreifend, »musst du mir am wenigsten danken, Oswald.«
»Es ist wichtig, den Menschen zu danken«, sagte Lehrer und schwankte ein wenig auf seinem Stuhl. »Du warst immer gut darin, deine Wertschätzung zu zeigen, schon damals in den alten Tagen des Neuköllner Kupplungsunternehmens. So bin ich zum ersten Mal auf deinen Namen gestoßen. Das war einer der Gründe, warum ich dich ausgewählt habe.«
»Und diesen Schmidt, warum hast du den ausgewählt?«
»Ach ja. Schmidt war bei der Gestapo, und er ist ein strenggläubiger Katholik. Sein Priester hat in unserem Plan eine entscheidende Rolle gespielt. Wir sind über den Vatikan hierher gekommen.«
»Seine Nervosität könnte die Aufmerksamkeit auf euch lenken. Er muss lernen, sich zu entspannen.«
»Ach, ich weiß … aber es ist doch gut zu wissen, dass jemand wachsam ist. Es liegt in seiner Natur. Gestapo-Leute sind permanent misstrauisch.«
Lehrer trank einen Schluck Brandy und spülte damit seinen Mund aus, bevor er ihn herunterschluckte. Er ließ die Hände baumeln und atmete die warme Nachtluft ein. Zikaden zirpten, und Frösche quakten aufeinander ein wie streitende Betrunkene, die nicht zuhören und denen alles egal ist.
»Wie lange wirst du in Brasilien bleiben?«, fragte Felsen.
»Ein paar Jahre«, sagte Lehrer, dachte, die Zigarre zwischen den Lippen rollend, darüber nach und fügte hinzu: »Vielleicht auch länger.«
»In ein paar Jahren ist Gras über die Sache gewachsen«, sagte Felsen. »Die Menschen sehnen sich verzweifelt nach Normalität.«
Lehrer wandte im Licht der Lampe den Kopf, die Augen tiefschwarz, aber nicht glänzend, als wäre jedes Licht in ihnen für immer erloschen.
»Nach diesem Krieg wird nichts je wieder normal sein«, sagte er.
»Das hat man nach dem letzten Krieg auch gesagt. All die Toten für ein paar nutzlose Schlammfelder.«
»Erinnerst du dich daran, was ich dir über die Herkunft des Goldes erzählt habe?«, sagte Lehrer so müde und matt, als läge er auf dem Sterbebett. »Es gibt auch noch andere Namen, vor denen man sich hüten muss … Treblinka, Sobibor, Belzec, Kulmhof, Chelmno …«
Und mit leiser Stimme erteilte Lehrer Felsen seine letzte Lektion. Er berichtete ihm von den Eisenbahnwaggons, den Viehtransporten, zusammengefügt von Kupplungen des Neuköllner Kupplungsunternehmens. Er erzählte ihm von den Selektionen, den Duschräumen mit Zyklon B und den Öfen. Er nannte Zahlen: die Zahl der Menschen in einem Viehlaster, die Zahlen der Eisenbahnwaggons, die Zahl der Menschen, die ein Duschraum fasste, die Zahl der Leichen, die pro Tag verbrannt wurden, die Zahlen, die auf die Unterarme von Menschen tätowiert wurden. Und dann zählte er noch einmal die Namen auf, damit Felsen sie nicht vergaß.
»Ich habe dir all das erzählt«, sagte Lehrer, »weil es bis zu fünf Jahre dauern könnte, bis
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