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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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auch sein Magengeschwür in den Griff bekommen.
    »Ich mache mir Sorgen«, sagte er, Felsens Kaffee schlürfend. »Die Amerikaner könnten jeden Tag an der französischen Riviera zuschlagen.«
    »Das Schiff segelt unter spanischer Flagge … außerdem haben die Amerikaner zurzeit andere Sorgen. Was ist in der Rolle?«
    Lehrer zog nervös seine dunklen Augenbrauen hoch. »Ein Rembrandt«, sagte er. »Wirf mal einen Blick in den Umschlag.«
    Felsen entleerte ihn auf das Bett. Er enthielt Fotos und persönliche Daten von Lehrer, Wolff, Fischer und Hanke.
    »Du weißt, was zu tun ist«, sagte Lehrer. »Papiere, Pässe und Visa für Brasilien. Außerdem möchte ich, dass du in Portugal irgendwo in der Nähe der Grenze ein Grundstück erwirbst. Nicht im Wolfram-Abbaugebiet, wo man dich kennt, sondern vielleicht weiter südlich. Ich habe gehört, dort soll es eine Wüste geben.«
    »Den Alentejo. Wir haben in der Gegend Kork gekauft. Er grenzt an Spanien. Man muss bloß den Rio Guadiana überqueren«, sagte Felsen, »aber von Berlin dorthin zu kommen …«
    »Glaub mir, dort wird das reine Chaos herrschen.«
    »Und was ist mit dem Rembrandt?«
    »Den nimmst du mit dem LKW mit und bewahrst ihn mit dem Gold im Safe der Banco de Oceano e Rocha auf.«
    Felsen blickte auf das Bett mit den Fotos.
    »Und das war’s dann, Oswald?«
    »Dies ist der letzte Transport.«
    »Hast du ab Tarragona eine Eskorte organisiert?«
    »Es gibt keine Eskorte. Von dieser Lieferung darf niemand etwas erfahren. Weder die Spanier noch die Portugiesen.«
    »Du willst, dass ich es nach Portugal schmuggele?«
    »Du musst doch im Laufe der Jahre über tausend Tonnen Wolfram geschmuggelt haben, warum dann nicht zweieinhalb Tonnen Gold?«
    »Und was dann?«
    »Dann wartest du.«
    »Wie lange?«
    »Das kann ich nicht sagen. Wenn der Führer kapituliert, könnte es schon morgen sein, aber das wird er nicht tun. Er kann nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Hast du die Frachtdokumente zu den Goldlieferungen gelesen?«
    »Sie gelesen? Nein. Ich lese gar nichts mehr. Ich habe sie nur unterschrieben.«
    »Dann sind dir die Absender der drei Pakete nicht aufgefallen?«, fragte Lehrer.
    »Nein.«
    »Lublin, Auschwitz und Majdanek.«
    »Polnisches Gold.«
    »Gewissermaßen.«
    »Ich kann dir leider nicht folgen.«
    »Mein Musterschüler«, sagte Lehrer kopfschüttelnd. »In diesen Städten gibt es keine Goldminen. Und die nationale Goldreserve Polens wurde längst abtransportiert.«
    Felsen schwieg.
    »Lissabon ist weit entfernt von diesem Krieg«, sagte Lehrer. »Niemand hat mit dir über die Endlösung gesprochen. Das ist auch keine Konversation für ein Abendessen in Lapa. Dieses Gold stammt von den Juden. Von ihren Brillen und Uhren, ihrem Schmuck und ihren Zähnen.«
    »Ihren Zähnen?«, fragte Felsen und tastete mit der Zunge über seine eigenen Backenzähne.
    »Der Führer wird nicht kapitulieren, weil er selbst in seinem Wahn weiß, dass die Welt seine systematische Vernichtung des europäischen Judentums nicht akzeptieren wird. Wir alle müssen kämpfend untergehen.«
     
    Am 11. August 1944 begann die Operation Dragoon mit der Landung amerikanischer Truppen an der französischen Riviera. Zu diesem Zeitpunkt lagerten 2714 Kilo jüdisches Zahn- und Schmuckgold sowie ein zusammengerolltes Rembrandt-Gemälde längst sicher im Tresorraum der Banco de Oceano e Rocha in der Rua do Ouro in der Baxia in Lissabon. Es sollte weitere neun Monate dauern, bis Obergruppenführer Lehrer eintraf, um seinen Anspruch darauf zu erheben.

21
    11. Mai 1945,
    Quinta das Figueiras, Alentejo, Portugal
     
    Das große Bauernhaus lag fünfzehn Kilometer über eine achsengefährdende Piste aus getrocknetem Lehm und Schiefer vom nächsten Dorf entfernt. Hierher kam niemand bis auf ein paar umherziehende Schafhirten, die im Hochsommer den Brunnen im Hof benutzten. Das Haus lag auf der Kuppe einer Erhebung, die die mit Korkeichen und Olivenbäumen gesprenkelten Hügel überragte. Von einer großen terrakottagefliesten, mit einer niedrigen Mauer umgebenen Terrasse blickte man auf den Zusammenfluss von Rio Lucefecit und Rio Guadiana. Im Schatten von sieben Feigenbäumen konnte man beobachten, wie der Fluss sich jenseits des umfriedeten Apfelsinenhains auf seinem Weg nach Süden zum Atlantik in eine felsige Schlucht stürzte.
    Es war heiß. Nicht die brutale Sommerhitze, die sich bildete, wenn jemand die Ofentür der Sahara offen stehen ließ, aber heiß genug, dass die Vögel nach Mittag

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