Tod in Lissabon
überstreifen. Der Vorgesetzte des Gruppenführers heftete einen Davidstern an ihr Revers. Erinnerst du dich daran, Oswald?«
Lehrer schwieg. Die Zigarette zwischen seinen Lippen qualmte vor sich hin. Sein Schweiß floss weiter in Strömen.
»Jedes der Mädchen bekam eine Peitsche, mit der sie den nackten Hintern des vorgesetzten Offiziers bearbeiten sollten. Es waren junge Mädchen, nicht besonders kräftig, außerdem waren die Peitschen zu kurz, sodass man ihnen stattdessen Stöcke gab. Nachdem sie den Arsch des Offiziers mit roten Striemen verziert hatten, sagte man ihnen, sie sollten sich hinknien, und noch mit heruntergelassener Hose hat der SS-Offizier beiden Mädchen in den Kopf geschossen.«
»Ist das wahr?«, fragte Lehrer, als wäre das Ganze ein Traum.
»Du warst dabei. Du hast es gesehen. Du hast es Eva erzählt. Deswegen hat sie angefangen, Illegalen Unterschlupf zu gewähren. Und deswegen stand eines Tages die Gestapo vor ihrer Tür.«
»Ha!«, sagte Lehrer und beugte sich ins Licht der Kerze. »Darum geht es also. Eva Brücke. Am Ende bist du also doch sentimental, habe ich Recht, Klaus?«
»Du hast sie verhaften lassen.«
»Schmidt hat mir berichtet, was sie tut. Ich hatte keine andere Wahl.«
»Tatsächlich?«, fragte Felsen.
»Du musst dein Handeln nicht rechtfertigen«, sagte Lehrer. »Du brauchst gar nicht erst zu versuchen, deinen Taten mit irgendwelchem sentimentalem Schmus einen noblen Anstrich zu geben. Erschieß mich und nimm das Gold, Klaus. Du hast es verdient. Du hast mich ausgetrickst. Meine Wahl war zu weise und zu gut.«
Ein paar Minuten saßen sie schweigend da. Felsen war nicht ganz zufrieden und wollte der Situation noch irgendetwas abgewinnen. Lehrer starrte ins flackernde Kerzenlicht und rauchte eine weitere Zigarette. Ein Schuss zerriss die Nacht. Das Echo hallte auf der Terrasse wider. Felsen nahm die Mauser und ging um den Tisch. Wie ein bemühter Kellner beugte er sich über Lehrer, legte einen Arm um ihn und hob ihn hoch. Lehrer schlang einen Arm um Felsens Hals. So traten sie auf die Terrasse und gingen weiter hinaus in die kühle Nacht, vorbei an den dicken, rauen Blättern der Feige, durch eine Lücke in der Mauer auf eine Wiese mit Wildblumen, die ihre Blüten zur Nacht geschlossen hatten. Nach kaum fünfzig Metern gaben Lehrers Beine nach, und Felsen ließ ihn zu Boden sinken. Lehrer legte sich hechelnd und blinzelnd auf die Seite wie ein verwundetes Tier. Felsen hielt den Lauf an seine Schläfe und drückte ab.
Die Frische kurz vor Anbruch der Dämmerung in der Nase, kehrte Felsen zum Haus zurück, wo Abrantes ihn erwartete, verschwitzt und mit schmutzigem Gesicht trank er einen Cognac.
»Du hast Schmidt gefunden«, sagte Felsen.
Abrantes nickte.
»Wo war er?«
»Unten am Fluss.«
»Du hast ihn erschossen.«
»Er ist im Fluss. Ich habe seinen Körper mit Steinen beschwert.«
Felsen ging zu dem LKW und kam mit einer Hacke und einer Schaufel zurück. Im Esszimmer gab er Abrantes die Hacke und trank einen Schluck Cognac aus der Flasche. Abrantes spuckte in die Hände. Im ersten Licht des neuen Morgens traten sie auf die Terrasse.
ZWEITER
TEIL
22
Samstag, den 13. Juni 199–,
Rua Actor Taborda, Estefânia, Lissabon
In der Wohnung der Lehrerin war es dunkel gewesen, sodass es mir später vorkam, als es tatsächlich war. Ich überquerte den Largo Dona Estefânia, in dessen Mitte Neptun in einem Brunnen für alle Ewigkeit auf seinen beiden Delfinen ritt, und ging Richtung Avenida Almirante Reis zur Metro-Station Arroios. Die Straßen waren leer, kaum ein Auto war unterwegs. Das warme Licht der Abendsonne lag nur noch auf den Wipfeln der hohen Bäume, im Arroios-Park spielte kein einziges Kind, kein Pärchen saß auf einer Bank, nirgendwo hockten Rentner bei einem Kartenspiel, nur Tauben waren unterwegs, als ob die Bevölkerung etwas wusste, wovon ich keine Ahnung hatte, und deshalb die Stadt verlassen hatte.
Ich versuchte vergeblich, Carlos zu erreichen, und hinterließ eine Nachricht, dass ich in die Alfama fahren würde, um mit Jamie Gallacher zu sprechen.
Ich zog meine Jacke aus und betrat den stillen, von blauen Mosaiken verzierten Tunnel der menschenleeren Metro-Station, wo ich eine Viertelstunde im Neonlicht des Bahnsteigs wartete. Aus den Lautsprechern plätscherte leise Musik, doch bevor ich die Melodie erkennen konnte, fuhr donnernd und zischend der Zug auf dem Gegengleis ein. Ich überlegte, wie es wäre, Luísa Madrugada unter
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