Tod in Lissabon
hat genau dieses Wort benutzt?«
»Das machen Frauen so, Dad. Wenn die Jungs im Park Fußball spielen, reden sie über … alles.«
»Außer über Fußball.«
»Ich habe dir etwas mitgebracht«, sagte sie.
»Was hat dir deine Mutter sonst noch erzählt?«
»Hier«, sagte sie und breitete einen Rasierer, fünf Klingen und eine Spraydose Rasierschaum aus. Ich zog sie erneut an mich und küsste sie auf die Stirn. »Weiter.«
»Was weiter?«
»Wir sprachen gerade über deine Mutter.«
»Du warst neugierig auf unsere Gespräche … Aber wenn Mum mit dir nicht über das geredet hat, worüber sie mit mir geredet hat, hat sie wahrscheinlich gedacht, dass es dich nichts angeht. Oder noch wahrscheinlicher, dass es dich nicht interessiert.«
»Stell mich auf die Probe.«
Sie blickte nach innen, rauchte und leckte mit der Zunge über ihre Zähne.
»Du zuerst«, sagte sie.
»Ich?«
»Erzähl mir etwas Persönliches, über das du auch mit Mum geredet hast, um mir deinen guten Willen zu zeigen.«
»Was denn zum Beispiel?«
»Etwas Persönliches«, wiederholte sie, die Situation sichtlich genießend, »wie Sex. Habt ihr nie über Sex geredet?«
Um Zeit zu gewinnen, starrte ich in mein aguardente -Glas.
»Sie hat mit mir darüber geredet, wie es war, mit dir zu schlafen«, fügte Olivia hinzu.
»Tatsächlich?«, fragte ich überrascht.
»Sie hat gesagt, lass mich überlegen, sie hat gesagt: ›Es ist wundervoll, mit einem Mann zu schlafen, den du liebst. Wenn du einmal diese Zärtlichkeit, diese innige Vertrautheit totaler gegenseitiger Rücksichtnahme, den Kitzel der geistigen Verbundenheit erlebt hast, dann gibt es nie wieder ein Zurück …‹ Ich glaube, das war es in etwa. Das hat sie mir nach meinem ersten Mal erzählt, als ich mich beschwert habe, dass es längst nicht so toll war, wie alle immer sagen.«
Olivia hielt inne, und ich hatte ein Problem. Ich konnte nicht schlucken, meine Augen brannten, mein Magen krampfte sich zusammen. Es war still im Zimmer. Irgendwo in der Ferne bellte ein einsamer Hund. Meine Tochter legte ihre Hände auf meinen Rücken und rieb mir über die Schultern. Ich trat einen Schritt von dem Abgrund zurück, und sie bettete ihre Stirn auf meinen Arm. Ich strich lange über ihr weiches schwarzes Haar. Sie küsste mein Handgelenk. Der Straßenverkehr machte sich wieder bemerkbar.
»Dein erstes Mal?«, fragte ich, mich langsam wieder erholend.
Olivia richtete sich auf.
»Sie hat es dir nicht erzählt, oder? Das habe ich mir gedacht.«
»Warum?«
»Ich habe sie darum gebeten. Ich hatte Angst, du würdest ihn verhaften lassen.«
»Wann war das?«
»Schon eine Weile her.«
»Wann genau? Ich will mich an den Zeitpunkt erinnern.«
»Letztes Jahr im Februar. Zu Karneval.«
»Da warst du gerade erst fünfzehn.«
»Stimmt.«
»Was ist passiert?«
Sie streckte ihre Arme aus, die leicht zitterten. Sie war es nicht gewöhnt, so mit mir zu reden. Wir waren es beide nicht gewöhnt.
»Du weißt schon.«
»Erzähl es mir.«
»Es war eine Party. Er war achtzehn …«
Man denkt über diese Sachen nach und stellt hinterher fest, dass sie passiert sind, ohne dass man es mitgekriegt hat. Warum hatte ich es nicht gesehen? Bekommen Frauen nicht einen ganz bestimmten Ausdruck in den Augen, wenn sie von der verbotenen Frucht gegessen haben? Ich weiß, dass es bei Jungen nicht so ist – sie sind einfach Stiesel, und hinterher sind sie glückliche Stiesel.
Es passierte wieder. Ich dachte, ich sei ganz locker, doch ich war angespannter als eine Sprungfeder. Woher kam all diese … diese Wut? Zum zweiten Mal an diesem Abend schlug ich mit der Faust auf den Tisch und verfluchte brüllend den fremden Mistkerl, der meine Tochter entjungfert hatte. Ich haderte mit meiner toten Frau. Ich wütete gegen mein Spiegelbild im Fenster an, so blind gewesen zu sein. Ich schimpfte mit Olivia, die ihren Stuhl zurückschob und mir ihr gesamtes Liebesleben ins Gesicht knallte. Sie brüllte aus Leibeskräften, sodass sich vielleicht die Mannschaften diverser Schiffe, die in jener Nacht unterwegs zum Atlantik waren, an der Reling aufgestellt und mitgehört haben. Es hörte erst auf, nachdem sie mit ihren Fäusten gegen meine Brust getrommelt hatte, hinausgestürmt war und die Tür hinter sich zugeschmissen hatte. Mit polternden Absätzen stürmte sie die Treppe hinauf, eine letzte Tür knallte zu, und ich konnte mir vorstellen, wie sie sich aufs Bett warf.
Danach war es still, bis auf das Blut, das in meinen
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