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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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musst nicht ständig an deinen Job denken, Zé.«
    »Du hast Recht. Darüber denke ich wirklich zu viel nach.«
    »Du warst zu neugierig und wolltest die Wahrheit über alles und jeden wissen. Das mag keiner, nicht mal Polizisten. Und die, die dir nahe stehen, wollen es auch nicht immer wissen oder erzählen.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Vor allem wenn du deine eigenen kleinen Wahrheiten nicht preisgibst, wenn du dich versteckst.«
    »Ah ja, ich wusste, dass das kommen würde. Der Bart.«
    »Der Bart«, schnaubte sie. »Der Bart war egal.«
    »Ich meine im übertragenen Sinne.«
    »Okay, wenn du willst«, sagte sie. »Aber vergiss nicht, dass du mir heute zum ersten Mal gesagt hast, was du von den Aktionen deines Vaters gehalten hast.«
    »Warum hast du mir das mit Olivia nicht erzählt?«, fragte ich drängend.
    »Sie hat sich darauf verlassen, dass ich es nicht tun würde.«
    »Ich verstehe.«
    »Sie sagte, sie hätte deine Enttäuschung nicht ertragen können.«
    »Meine Enttäuschung ?«
    »Sie erinnert sich an all die Ausflüge, die du mit ihr gemacht hast, als sie ein kleines Mädchen war. All die Stunden, die du damit zugebracht hast, ihr Dinge zu erzählen und ihr zu versichern, wie wundervoll sie ist und wie viel sie dir bedeutet. Warst du enttäuscht?«
    Ich rauchte den Joint bis zum Filter herunter und drückte ihn aus. Noch einmal erlebte ich dieses niederschmetternde Gefühl, wenn ein Mädchen, in das man verliebt ist, einem einen netten Korb gibt.
    »Wir sind schon seltsame Geschöpfe«, sagte ich.
    »Die Liebe ist eine komplizierte Angelegenheit.«
    Ich starrte auf mein Spiegelbild, das sich im Fenster über das Bild meiner Frau schob.
    »Ich habe heute jemanden kennen gelernt«, sagte ich.
    »Wen denn?«
    »Eine Lehrerin.«
    »Und was ist mit ihr?«, fragte sie leicht gereizt.
    »Ich … ich mag sie.«
    »Du magst sie? Was heißt ›mögen‹?«
    »Ich fühle mich zu ihr hingezogen.«
    Schweigen.
    »Sie ist die erste Frau, mit der ich gern …«
    »Du brauchst nicht ins Detail zu gehen, Zé.«
    »Das wollte ich gar nicht …«
    »Dann tu es auch nicht.«
    »Es war bloß …«
    »Zé?«
    Ihr Bild bebte, eine Brise vom Meer ließ die locker sitzende Scheibe zittern. Die Schreibtischlampe summte leise. Ich merkte, dass ich auf der Stuhlkante über den Schreibtisch gebeugt kauerte, und lehnte mich zurück. Dachziegel klapperten, als der Wind auffrischte. Der Stoß schien von hinter meinem Brustbein zu kommen. Er riss mich nach vorn, ließ mich gegen den Tisch prallen, sodass Foto und Lampe umfielen und das Fenster schwarz wurde.
    Ich lag im Dunkeln halb unter dem Tisch auf dem Boden und hielt mir, unfähig, genug Luft einzuatmen, den Bauch. Ein Arzt hätte es vielleicht für einen Herzinfarkt gehalten, und das war es in gewisser Weise auch. Nach einer kleinen Ewigkeit kroch ich zum Stuhl und weiter zur Tür und taumelte die Treppe hinunter.
    Ich riss mir die klebrigen Kleider vom Leib, warf mich auf die Matratze und streckte die Hand nach ihrer Kühle aus. Tränen strömten über mein Gesicht auf das Kopfkissen.

27
    24. Dezember 1961,
    Monte Estoril bei Lissabon
     
    Felsen hatte dem Regen den Rücken zugewandt und saß auf der Kante einer Holztruhe. Bei Tageslicht hätte man durch das regengepeitschte Fenster den grauen Ozean und weiter rechts die Zitadelle von Cascais sehen können, die sich gedrungen und robust den Wellen entgegenstemmte. Er verfolgte, wie sich Picas Familie nach dem Weihnachtsessen verabschiedete. Pedro, Joaquims älterer Sohn, hatte sich unter die Gäste gemischt, küsste Wangen und schüttelte Hände. Manuel lehnte mit übereinander geschlagenen Beinen an der Wand und beobachtete das Geschehen selbstbewusst.
    Die Feier löste sich auf, Pica ging nach oben, Pedro und Manuel verschwanden im Haus. Abrantes und Felsen gossen sich einen Vorkriegs-Armagnac ein und zündeten sich eine kubanische Zigarre an. Abrantes setzte sich auf seinen Lieblingsplatz, einen alten Ledersessel mit hoher, geschwungener Rückenlehne, und klopfte wie so oft abwesend mit der Hand auf die Armlehne, wo sich im Laufe der Jahre ein Fleck gebildet hatte.
    »Du siehst schlecht aus«, sagte Abrantes. »Du isst nicht richtig.«
    Es stimmte, Felsen hatte seit Wochen keinen Appetit. Er hatte das Gefühl, ein wichtiger Augenblick stünde bevor, für den er hellwach, hungrig und konzentriert sein wollte. Er betrachtete Abrantes’ Spiegelbild in dem dunklen Fenster.
    »Wenn du auf leeren Magen Alkohol trinkst,

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