Tod in Lissabon
Ohren rauschte, und das Ticken eines Holzwurms, der sich durch ein Tischbein fraß.
Nachdem ich eine halbe Stunde im Kreis gedacht hatte, ging ich nach oben. In Olivias Zimmer brannte noch Licht. Ich stieg weiter die Treppe hinauf zu meinem Speicher, wo ich einer Schwäche nachging, die ich in den letzten sechs Monaten entwickelt hatte.
Unter einem der Mansardenfenster stand ein Schreibtisch mit einem schlichten Baststuhl. Auf dem Schreibtisch stand ein Bild meiner Frau, ein Porträtfoto, das ich auf der Terrasse eines Hauses in der Nähe von Lagos an der Algarve gemacht hatte. Auf dem Bild leuchtet ihr Gesicht, und obwohl es eigentlich ein Farbfoto war, wirkte es durch das Blitzlicht wie eine Schwarzweißaufnahme mit einem gelblichen Schimmer. Sie war nie gern fotografiert worden, und ich hatte sie überrascht, aber sie hatte nicht entsetzt die Augen aufgerissen. Sie hatte mich vielmehr direkt und ziemlich eindringlich angesehen, der Moment, bevor sie der Kamera auswich.
Dieses Foto hatte ich dem Fenster gegenüber in einem schwarzen Rahmen aufgestellt, sodass das Spiegelbild ihres Gesichts mich aus der Scheibe ansah, als würde sie von draußen hereinblicken.
In einer verschlossenen Schreibtischschublade bewahrte ich einen Beutel Gras und ein Päckchen Rizla-Papierchen auf. Als Jugendlicher in Afrika hatte ich geraucht. Es war der Alkohol des armen Mannes, und die Gärtner kifften ständig. Seit meiner Zeit in London hatte ich nicht mehr geraucht, doch als ich, um abzunehmen, mit dem Trinken aufhören musste, wusste ich, dass ich die einsamen Augenblicke, die ich von Zeit zu Zeit hatte, nicht ertragen würde, ohne dass irgendwas die harten Kanten ein bisschen weich zeichnete. Seit einem halben Jahr rauchte ich vielleicht zwei, drei Joints die Woche. Dabei redete ich mit meiner Frau im Fenster, und das Seltsame war, dass sie, wenn das Gras wirkte und ich in mich versank, sogar antwortete.
Ich schaltete die kleine Schreibtischlampe an und rauchte. Ich brauchte nicht viel, es war gutes Zeug. Kein einheimisches Kraut. Ich hätte auch einfach aus meiner Haustür gehen und binnen fünf Minuten etwas auf der Straße kaufen können, aber das war mir nicht gut genug. Der alte Fahrer meines Vaters aus Guinea hatte die richtigen Kontakte. Mein schwarzer Bruder.
»Das war vielleicht ein Tag«, sagte ich.
Keine Antwort, ihr Blick war so fest wie der Kurs eines Schiffes übers Meer.
»Gefällt dir mein neues Gesicht?«
Ihre im Kontrast zu dem weißen Gesicht dunklen, leicht geöffneten Lippen bewegten sich nicht.
»Ich bin heute zweimal völlig ausgeflippt. Was hat das zu bedeuten? So habe ich noch nie vorher die Fassung verloren, nicht einmal, wenn ich getrunken hatte. Diese Sache mit meinem Vater … und wie Carlos über ihn gesprochen hat. Ich konnte es nicht ertragen.«
»Vielleicht fühlst du dich schuldig«, sagte sie.
»Wie bitte? Das hab ich nicht verstanden.«
»Vielleicht hast du Schuldgefühle wegen deines Vaters.«
»Schuldgefühle?«, fragte ich. »Ich habe ihn verteidigt.«
»Aber als ich dich kennen gelernt habe, warst du noch linker als links.«
»Es war eben meine Art, gegen … gegen den Faschismus zu rebellieren.«
»Wirklich? War es nur das?«
Schweigen. Ich hatte ein Hindernisrennen in meinem Kopf losgetreten. Ich wusste die Antwort auf diese Frage, aber wie sollte ich sie aussprechen?
»Du kannst es einfach sagen«, meinte sie. »Wir sind unter uns.«
»Was er vorhatte, war falsch«, sagte ich.
»Das hast du damals gedacht?«
»Das denke ich immer noch.«
»Das zuzugeben fällt dir schwer«, sagte sie. »Ich weiß, wie sehr du ihn bewundert hast.«
»Aber warum musste ich gleich so ausrasten? Mit den Fäusten auf den Tisch schlagen …«
»Du hast immer gesagt, die Portugiesen zögen es vor, in der Vergangenheit zu leben … Vielleicht hast du dich entschieden, in der Gegenwart und in der Zukunft zu leben«, sagte sie. »Du veränderst dich. Du bist einsam. Vielleicht willst du nicht mehr einsam sein.«
»Ich habe dich heute Abend vermisst. Als Olivia deine Worte vorgetragen hat.«
»Du findest es nicht schlimm, dass ich ihr das erzählt habe?«
»Nein, nein. Das nicht.«
»Was dann?«
»Ich hatte bloß den Gedanken, dass ich, selbst als du noch gelebt hast, ein bisschen einsam war.«
»Nicht einsam, ein Einzelgänger«, erwiderte sie, mein Englisch verbessernd. »Das macht dich zu dem Mann, der du bist, aber es kann dich auch zerbrechen.«
»In meinem Job, meinst du?«
»Du
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