Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
Vom Netzwerk:
vornehmsten englischen Akzent. »Ich dachte, ihr wärt die Polizei«, beendete sie den Satz auf Portugiesisch.
    »Es waren nur wir beide«, sagte Carlos.
    »Was ist mit dem Barkeeper?«, fragte ich. »Vergessen Sie den Barkeeper nicht.«
    »Mein Vater hat gestern Abend mit jedem gestritten. Mit Ihnen, mit mir, mit meiner toten Mutter, mit dem Barkeeper … hab ich irgendwen vergessen?«
    »Es war meine Schuld«, sagte Carlos.
    »Worüber habt ihr denn gestritten?«, fragte sie.
    »Über gar nichts«, sagte ich rasch.
    »Und ihr?«, fragte Carlos.
    »Wir?«, fragte sie und schaffte es irgendwie, nicht rot zu werden. »Auch über gar nichts.«
    »Gestern Abend war es schon wichtig«, sagte ich.
    »Und was war das später für ein Lärm auf dem Speicher?«, fragte sie mich.
    Carlos runzelte die Stirn.
    »Ich bin im Dunkeln gestolpert«, sagte ich. »Wohin, sagtest du, wolltest du später gehen?«
    »Sofias Eltern haben mich zum Essen eingeladen.«
    »Sofia?«
    »Die Tochter des Bankiers, der das ganze Geld für deinen Bart gegeben hat.«
    »Du bist in letzter Zeit ziemlich oft bei den … Rodrigues.«
    »Sofia ist in meiner Klasse. Sie ist«, Olivia zögerte, warf einen Seitenblick zu Carlos, der sie keinen Moment aus den Augen gelassen hatte, »sie ist adoptiert. Im letzten Jahr haben wir uns ziemlich gut verstanden. Du weißt ja, wie das ist.«
    Carlos schien es jedenfalls zu wissen.
    »Ich fahre heute Nachmittag nach Lissabon«, sagte ich.
    »Ich mache mich dann mal auf den Heimweg«, meinte Carlos.
    »Wenn Sie zum Bahnhof gehen«, sagte Olivia plötzlich drängend, obwohl es eigentlich noch gar nicht ›später‹ war, »können Sie mich dorthin begleiten.«
    Olivia küsste mich auf die Wange und verrieb den Lippenstift, was sie gerne tat, weil sie es irgendwie erwachsen fand.
    »Vergiss nicht, dich zu rasieren«, sagte sie.
    Als die beiden gegangen waren, tat ich genau das, bevor ich ins Café ging und mit António Borrego eine bica trank. Olivias Auftritt hatte mich entspannt. Wenn eine Sechzehnjährige zwei erwachsene Männer so manipulieren konnte, konnte ich mich getrost in die Hände von Luísa Madrugada begeben und mich von ihr zum Mann oder zum Affen machen lassen.
     
    Auf der Fahrt nach Lissabon rang ich mit meinem vielstimmigen Gewissen. Sollte ich eine potenzielle Zeugin wirklich zum Mittagessen ausführen, obwohl ich noch gar nicht wusste, wie wichtig sie für den Fall war? Es war ein zäher Streit, in dem das Wort potenziell eine große Rolle spielte und in dem der impulsive Privatmensch ausnahmsweise einmal die Oberhand über den verantwortungsbewussten Polizisten behielt.
    In der Rua Actor Taborda saß ich zwanzig Minuten in meinem Wagen und wartete, bis es nicht mehr ganz so peinlich früh war. Dabei beobachtete ich vage interessiert den Eingang eines Pornokinos und fragte mich, wer sonntags mittags die Ausdauer für sessões contínuas hatte. Offenbar niemand.
    Um Punkt eins klingelte ich, und Luísa kam zu meiner milden Enttäuschung direkt herunter. Ich wusste nicht, was ich mir unbewusst erhofft hatte, aber mein Magen teilte mir vernehmlich mit, dass er nicht vorhatte, das Mittagessen auszulassen. Ich wollte, dass sie meinen Arm fasste und mich die Straße hinunterzog wie Olivia, was mich schließlich dazu brachte, meine Hoffnungen zu zügeln und ein wenig Gelassenheit einkehren zu lassen. Wir gingen in eine cervejaria in der Avenida Almirante Reis, die Filiale einer Kette, die für ihre Meeresfrüchte berühmt war. Ich hätte gern an der Bar gestanden, weil ich Meeresfrüchte lieber zwanglos esse, doch der Bereich um den Tresen wirkte trotz der großen Aquarien mit verwirrt guckenden Langusten und Hummern billig und schmuddelig.
    Der Kellner wies uns einen Tisch am Fenster zu. Außer uns saßen noch zwei Pärchen in dem höhlenartigen Lokal. Wir bestellten eine Platte mit großen Garnelen und ein paar panierten Krebsen und zwei Bier.
    »Ich muss gestehen, dass Sie mich überrascht haben«, sagte sie.
    »Mit meinem Anruf? Das hat mich selbst auch überrascht.«
    »Nun, das auch … aber es hat mich vor allem überrascht, dass Sie Polizist sind.«
    »Sehe ich nicht so aus?«
    »Die Polizisten, die man auf der Straße sieht, werden von ihren Stiefeln und Sonnenbrillen dominiert. Und Leute wie Sie, die man nicht sieht, habe ich mir immer, ich weiß nicht, als ernste, harte Männer vorgestellt … und erschöpft.«
    »Ich war doch erschöpft.«
    »Erschöpft vom Leben … seiner schlimmsten Aspekte

Weitere Kostenlose Bücher