Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
Vom Netzwerk:
überdrüssig, meine ich. Sie waren bloß müde.«
    Unser Bier kam. Ich bot ihr eine Zigarette an, doch sie lehnte meine Ultralights verächtlich ab und zog eine Packung echte Marlboros aus der Tasche. Sie zündete sich ihre Zigarette mit einem Zippo an, das sie am Tischtuch blank rieb, während sie auf die von Bäumen gesäumte Straße blickte. Dann stützte sie ihr Kinn auf die Hand, rauchte und dachte an irgendetwas, das ihre Augen noch grüner schimmern ließ.
    »Ich fand immer, wenn man traurig ist, ist Lissabon die passende Stadt«, sagte sie.
    »Und Sie sind traurig?«
    »Melancholisch, meinte ich …«
    »Das ist besser, aber …«
    »Traurig bin ich natürlich auch, wenn ich am ersten schönen Sommersonntagnachmittag des Jahres vor meinem Computer sitze.«
    »Aber das tun Sie doch gar nicht mehr.«
    »Das stimmt«, sagte sie und versuchte, ihre Melancholie abzuschütteln.
    Der Kellner brachte unsere Garnelen und Krebse. Wir bestellten noch zwei Bier und machten uns über die Garnelen her. Sie saugte das Gehirn aus, kein bisschen bekümmert um ihre Damenhaftigkeit, und das gefiel mir.
    »Sie sehen nicht aus wie eine Lehrerin«, sagte ich.
    »Weil ich keine bin. Ich bin die schlechteste Lehrerin, die ich kenne. Ich mag Kinder, aber ich habe keine Geduld. Ich bin zu aggressiv. Noch zwei Wochen, dann höre ich auf.«
    »Um was zu tun?«
    Sie musterte mich, als wollte sie überprüfen, ob es sich lohnte, mir das zu erzählen, und ob sie schon so weit gehen wollte.
    »Ich habe mich lange dagegen gewehrt, aber jetzt werde ich es tun. Ich werde eines der Unternehmen meines Vaters leiten.«
    Sie saugte schmatzend an dem Garnelenkopf und leerte ihr Bier mit einem Schluck.
    »Bloß eins?«, fragte ich, und sie hörte auf, sich die Hände abzuwischen, um mich fragend anzusehen.
    »Ich bin ehrgeizig«, sagte sie und warf ihre Serviette beiseite.
    Der Kellner brachte zwei weitere Bier.
    »Inwiefern?«
    »Ich will ein Leben, in dem ich die meisten, wenn nicht alle Entscheidungen selbst treffen kann.«
    »Ist das eine relativ neue Idee?«
    Sie lächelte und betrachtete die zerbrochenen Garnelenschalen auf ihrem Teller.
    Ich trank mein erstes Bier aus und machte mich an das zweite.
    »Waren Sie schon einmal in der Wirtschaft tätig?«
    »Nach dem Studium habe ich vier Jahre für meinen Vater gearbeitet. Wir haben uns gestritten. Wir sind uns zu ähnlich. Ich bin gegangen, um einen Doktor zu machen.«
    »Worin?«
    »Das habe ich Ihnen doch gestern erzählt, wissen Sie nicht mehr?«
    »Ich war mit anderen Gedanken beschäftigt.«
    »Ich weiß«, sagte sie, und plötzlich hielt die Quantenmechanik wieder Einzug in meinen Alltag. Ich spürte jedes Photon zwischen uns.
    »Jetzt waren Sie aufmerksam«, sagte ich.
    »Die Wirtschaftspolitik Salazars«, sagte sie langsam. »Die portugiesische Wirtschaft von 1928–1968.«
    »Darüber müssen wir aber jetzt nicht reden, oder?«
    »Nicht, solange Sie das Gespräch alleine bestreiten können.«
    »Welche der Firmen Ihres Vaters wollen Sie denn leiten?«
    »Mein Vater ist Verleger.«
    »Und was verlegt er?«
    »Zu viele männliche Autoren. Nicht genug Belletristik. Keine Genre-Literatur wie Krimis oder Liebesromane. Keine Kinderbücher. All das will ich ändern. Ich möchte Menschen, die nicht lesen, dazu bringen zu lesen. Sie süchtig machen, mein Publikum heranziehen.«
    »Die Portugiesen nehmen die Literatur wie ihr Essen – sehr ernst.«
    »Sie sind Polizist und haben noch nie einen Krimi gelesen?«
    »Ich habe Angst, er könnte so langweilig sein wie die Wirklichkeit, und wenn nicht, wird er mir unrealistisch vorkommen.«
    »Das ist nicht der Punkt. Ein Dreizehnjähriger würde nie José Saramago lesen, aber wenn Sie ihm mit dreizehn einen Krimi geben, wird er es mit siebzehn tun.«
    »Und was wird dann aus unserer großen Fußballnation?«
    »Wir werden belesene Fußballer haben«, sagte sie und lachte ein tiefes, rauchiges Lachen, was vermutlich an den Marlboros lag, aber was soll’s, es ließ mein Herz schneller schlagen und jagte mir einen kühlen Schauer über den Rücken. Wir aßen die Krebse, tranken noch mehr Bier und redeten über Bücher, Filme, Schauspieler, Prominente, Drogen, Ruhm und Erfolg. Ich bestellte einen gegrillten Hummer, und Luísa lud uns zu einer Flasche 96er vinho verde Soalheiro Alvarinho ein, der mehr prickelte als irgendein anderer vinho verde , den ich je probiert hatte. Also bestellten wir eine zweite Flasche, die wir ebenfalls zügig leerten.

Weitere Kostenlose Bücher