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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Kennzeichen 14 08 PR. Ich klappte die Akte wieder zu.
    Ich ging zu Fuß zur Avenida da Liberdade, um ein bisschen frische Luft zu schnappen. Es war kein angenehmer Spaziergang: Es herrschte dichter Verkehr, und die Abgase stauten sich in der Nachmittagshitze. In der Pensão Nuno stieg ich über denselben alten Streifen Linoleum – vermutlich solide Ware aus den Siebzigerjahren – noch einmal dieselben Stufen in den zweiten Stock hinauf – vermutlich aus dem 18. Jahrhundert –, bis ich unter der Neonröhre über der Rezeption stand – vermutlich das einzig moderne Detail in diesem Gebäude. Jorge Raposo war immer noch da und qualmte über einer neuen Zeitung. Ich legte meine Hand auf den Tresen.
    »Suchen Sie Nuno?«, fragte er, ohne aufzublicken.
    »Den kenne ich schon.«
    »Inspektor«, sagte er, wenig erfreut, mich zu sehen. »Sie sind’s.«
    »Ihr Gedächtnis für Gesichter scheint sich erholt zu haben.«
    Er atmete mit zusammengepressten Zähnen ein, während er überlegte.
    »Nur für die Gesichter, an die ich mich erinnern muss . Unruhestifter zum Beispiel.«
    »Die drei Jugendlichen, die Freitagmittag hier waren.«
    »Sehen Sie, was ich meine, Inspektor«, seufzte er, schloss die Augen und öffnete sie nur halb wieder.
    »Hat nach ihnen noch jemand das Gebäude verlassen?«
    »Sie meinen, drei sind hochgegangen und vier wieder runtergekommen?«, sagte er, und seine Schultern zuckten in falscher Belustigung. »Ein bisschen länger dauert es schon, soweit ich weiß.«
    Ich sah ihn lange an, und er hielt meinem Blick unbesorgt stand.
    »Wie oft im Jahr bekommen Sie Prügel, Jorge?«
    »Im letzten Vierteljahrhundert? Kein einziges Mal.«
    »Und davor?«
    »Die Polizei war dieselbe, bloß die Uniformen waren anders, genau wie die Methoden. Nicht so sensibel, wenn Sie verstehen.«
    Ich drängte mich hinter seinen Tresen und rammte mein Knie gegen seinen Oberschenkel, sodass er hart auf dem abgetreten Stück Teppich landete. Die Zigarette fiel ihm aus den Fingern, und ich drückte sie aus.
    »Ein bisschen Nostalgie gefällig, Jorge?«, fragte ich. »Wenn Sie jetzt morgens aufwachen, werden Sie denken: Verdammt, heute könnte Inspektor Coelho mich besuchen kommen. Vielleicht sollte ich doch lieber anfangen, mich zu erinnern, wie das mit dem jungen Mädchen war, das hier Freitagmittag rausspaziert ist und vier Stunden später ermordet wurde. Ihr Gedächtnis wird eine direkte Verbindung zu Ihrem Schmerz haben, und wenn Sie denken, dass Sie es überstanden haben und wieder eine Stufe nach der anderen die Treppe hochsteigen können, komme ich zurück und kümmere mich um das andere Bein.«
    Ich ging noch einmal auf das Zimmer. Das Bett war an die Wand zurückgeschoben worden, sonst hatte sich nichts verändert. Ich setzte mich und rauchte eine Zigarette, ohne dass ich eine Eingebung gehabt hätte. Ich warf einen Blick in den Spiegel. Ich sah nach wie vor nicht besonders gut aus.
    Jorge lag immer noch stöhnend hinter seinem Tresen. Er sah zu mir hoch und kniff die Augen zu.
    »Strengen Sie sich weiter an, Jorge«, sagte ich und ging.
    Ich rief Luísa an, die inzwischen heimgekehrt war. Danach telefonierte ich mit Olivia, um ihr zu sagen, dass ich später kommen würde. Ich nahm den Bus nach Saldanha und ging zu Luísas Wohnung. Der Aufstieg kam mir endlos und beschwerlich vor. Sie öffnete ihre Tür, ließ mich im Wohnzimmer Platz nehmen und brachte mir einen Eistee. Ich erzählte ihr von meinem Unfall. Sie saß auf einem Stuhl, die Beine an den Körper gezogen, die Knöchel mit beiden Händen umfasst, und sah mich unentwegt an.
    »Ich habe einen kleinen Brief bekommen«, sagte sie, als ich fertig war. »Er klemmte unter meinem Scheibenwischer.«
    Sie nahm ein DIN-A-4-Blatt vom Tisch und gab es mir. Darauf stand mit Filzstift das Wort PUTA geschrieben.
    »Äußerst kühn«, sagte ich unbeeindruckt.
    Ich erzählte ihr von meinem Gespräch mit Narciso am Vormittag und dass er mich von dem Fall abgezogen hatte.
    »Die wissen von mir?«
    »Man hat mich in dein Haus gehen sehen, und dein Auto kennen sie auch, oder?«
    »Aber du weißt nicht genau, wer ›sie‹ sind?«
    »Ich schätze, es ist keine konzertierte Aktion«, sagte ich, »sonst wäre ich wahrscheinlich längst suspendiert. Ich denke, wir haben es lediglich mit gewissen Elementen innerhalb der Polizei zu tun, denen man gesagt hat, dass gewisse einflussreiche Personen nicht glücklich über den Verlauf meiner Ermittlungen waren.«
    »Und all das wegen

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