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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Bild meiner verstorbenen Frau, das mich aus der Schublade ansah, obwohl ich es mit dem Gesicht nach unten hineingelegt hatte, und stellte ihr Foto auf den Tisch. Ich kam mir betrogen vor, befleckt, ausgeplündert – meine Welt war so aus den Fugen, dass mir als einzige Konstante das unerschütterliche Bild meiner toten Frau geblieben war.
    Eine halbe Stunde verstrich, in der drei Schiffe in die Nacht hinausfuhren.
    Olivia tauchte in der Tür auf, ihr Gesicht spiegelte sich in der Fensterscheibe.
    »Dein Beutel mit Gras ist draußen in der Bougainvillea, die Papierchen auch.«
    »Du warst schon öfter hier oben?«, fragte ich, nicht mehr wütend, sondern nur noch müde.
    »Nach der Schule … um nach Mami zu sehen«, sagte sie. »Aber ich habe nie mit ihr geredet wie du.«
    »Man sollte meinen, ein Jahr ist eine lange Zeit, aber das ist es nicht«, sagte ich.
    »Neulich habe ich hier gesessen und mich gefragt, wie es wäre, wenn sie wieder da wäre … ob ich sie zurückhaben wollte.«
    »Würdest du es nicht wollen?«
    »Ich habe nie aufgehört zu denken: Das würde Mum interessieren, das erzähle ich ihr, wenn ich nach Hause komme«, sagte sie. »Und dann komme ich nach Hause, und niemand ist da, und es wird auch nie wieder jemand da sein. Nie wieder. Und dann vermisse ich sie. Ich will, dass sie wieder da ist, aber es müsste so sein wie vorher. Diese Lücke, dieses Jahr ohne sie hat alles verändert.«
    Ich nickte übertrieben wie ein Betrunkener und zündete mir eine Zigarette an. Olivia nahm sie mir ab, und ich zündete mir noch eine an und spielte mit dem Muschelaschenbecher.
    »Ein Verlust ist wie eine Granatsplitterwunde«, sagte ich, »bei der ein Metallsplitter an einer Stelle eindringt, die die Chirurgen nicht zu operieren wagen. Zunächst ist es schmerzhaft, furchtbar schmerzhaft, sodass man sich fragt, ob man damit weiterleben kann. Aber dann wächst der Körper um den Splitter, bis es nicht mehr wehtut. Es ist nicht so, wie es früher war, und hin und wieder kneift und zwickt es, wenn man nicht darauf vorbereitet ist. Dann merkt man, dass es noch da ist und immer da sein wird. Es ist ein Teil von einem geworden. Eine starre, harte Spitze im eigenen Körper.«
    Sie küsste mich auf den Kopf. Ich legte einen Arm um ihre Schulter und schob das Foto zurück in die Schublade.
    »Ich habe jemanden kennen gelernt«, sagte ich.
    »Ich weiß.«
    »Ach ja?«
    »Das Theater mit dem Telefon am Sonntag. Dein Geruch, als du zurückgekommen bist, und vielleicht weißt du es selber noch nicht, aber du bist glücklicher als vorher.«
    »Ich weiß nicht mehr, wie man es anfängt, jemanden näher kennen zu lernen.«
    »Wie ist sie?«
    »Das kann ich dir noch nicht sagen«, antwortete ich. »Bis jetzt war es eine einzige Achterbahnfahrt. Sie ist anders als deine Mutter, aber sie ist ihr in wichtigen Dingen auch ähnlich. Sie ist ein guter Mensch, ein echter Mensch, jemand, dem man vertrauen kann.«
    Sie strich über meinen Kopf.
    »Wie Carlos«, sagte sie.
    Ich verkniff mir eine Erwiderung, leugnete jedoch meinen Zorn nicht.
    »Ich bin wütend auf ihn. Ich werde dir jetzt nichts anderes erzählen. Wenn Inácio nicht aufgetaucht wäre …«
    »Warum?«
    »Er weiß, was er tut. Er weiß, dass du verletzlich bist. Er weiß, dass er fast zehn Jahre älter ist als du. Er weiß sogar, dass es gegen das Gesetz verstößt. Sonntagmorgen hat er dich getroffen, und am Dienstagabend liegt er schon mit dir im Bett … er hat dein Vertrauen missbraucht …«
    »Er wusste nicht , was er tat. Ich habe mit ihm schon über Mum geredet. Was sind schon zehn Jahre? Das Gesetz ist albern. Mum hat mir erzählt, dass ihr beiden nach einer Woche zusammen im Bett wart, und ich wusste, dass ich ihn mehr als alles andere in meinem Leben wollte. Und danach habe ich gehandelt. Er hat mich nicht verführt. Er hat überhaupt nichts missbraucht. Er … er hat etwas. Er hat etwas, das all die schicken Jungs auf meiner Schule nicht haben.«
    »Was? Was hat er …?«, fragte ich und hielt gerade noch rechtzeitig inne, bevor ich sagen konnte: … was ich nicht habe.
    »Darum geht es ja gerade«, sagte sie und strich durch mein Haar.
    »Was? Du sprichst genauso in Rätseln wie deine Mutter immer.«
    »Ich weiß es nicht … aber ich will es wissen. Den Kitzel der geistigen Verbindung, weißt du nicht mehr?«

34
    23. Oktober 1980,
    Banco de Oceano e Rocha, São Paulo, Brasilien
     
    Manuel Abrantes’ Sekretärin kam mit einem gepolsterten Päckchen in sein

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