Tod in Lissabon
Catarina?«
»Sie hatte schon umfassende sexuelle Erfahrung. Dort draußen gibt es jede Menge Männer, die mit jungen Mädchen schlafen wollen. Manche haben Überzeugungskraft, andere bieten Geld, und wieder andere nehmen es sich einfach. Catarina hatte Analverkehr. Selbst in freizügigen Zeiten wie diesen ist der Analverkehr mit einem so jungen Mädchen etwas Schändliches. Allein der Gedanke, wegen dieses Tatvorwurfs vor Gericht erscheinen zu müssen, könnte ihren Angreifer dazu getrieben haben, sie zu töten. Und in diesem Fall tauchen einige sehr wichtige Namen auf. Ihren Vater kennst du ja. Der wiederum hat Verbindung zum Innenminister. Dr. Oliveira war mit ihm einen trinken, als seine Tochter ermordet wurde, und er hat bei ihm zu Abend gegessen, als seine Frau Selbstmord begangen hat.«
»Teresa Oliveira hat Selbstmord begangen?«
»Am Sonntagabend … die einsamste Zeit.«
Das erschütterte sie so, dass sie aufstehen und in ihrer Wohnung auf und ab laufen musste. Ich rauchte, nippte an meinem Eistee und hatte, auch nachdem ich Luísa alles dargelegt hatte, keinen blassen Schimmer, wer von wo Druck auf mich ausübte. Kam er direkt von Narciso, oder war der nur der Kanal? Luísa küsste mich, um mich aufzumuntern. Ich erwiderte ihren Kuss, weil es gut schmeckte. Sie ließ sich wieder auf den Stuhl fallen.
»Ich habe heute auch eine gute Neuigkeit erfahren.«
»Du musst deine Doktorarbeit nicht zu Ende schreiben?«
»So gut nun auch wieder nicht«, sagte sie. »Mein Vater hat mir angeboten, die Markteinführung einer Zeitschrift zu organisieren, die er schon seit zwei Monaten in den Startblöcken hat.«
»Ich dachte, du wolltest Bücher verlegen.«
»Das will ich auch, aber das verschafft mir ein Entrée in der Lissaboner Verlagsszene, was mir später als Buchverlegerin zugute kommen wird. Eine neue Zeitschrift weckt immer größeres Interesse, ich werde eine Menge Aufmerksamkeit bekommen …«
»Aber …?«
»Ich muss mir eine Idee für den Aufmacher ausdenken. Etwas, womit sich diese Zeitschrift von anderen Magazinen absetzt.«
»Und deinem Vater ist nichts eingefallen?«
»Deshalb hat er die ganze kostenlose Publicity, die ich bekomme, als großzügiges Geschenk dargestellt. Da ist bloß noch dieser kleine gordische Knoten, den ich durchhauen muss.«
»Du brauchst einen guten altmodischen Sex-Skandal. Männer, die mit heruntergelassenen Hosen erwischt werden.«
»Ein bisschen ernsthafter sollte es schon sein, Zé. Es ist ein Wirtschaftsmagazin für die ganze Iberische Halbinsel, kein buntes Klatschblatt für den Frisör.«
»Das hast du nicht gesagt. Hätte ich das gewusst …«
»Was?«
»… hätte ich natürlich einen Geschäftsmann mit heruntergelassenen Hosen vorgeschlagen.«
»In einer Zeitschrift, die ich herausgebe, lässt keiner die Hosen runter.«
»Dann könntest du Probleme mit der Auflage kriegen, weil das meines Wissens das Einzige ist, wofür sich die Menschen heutzutage noch interessieren.«
»Du deprimierst mich.«
»Dann lass uns auf den Sieg der Frivolität trinken.«
Es war kurz vor neun und immer noch hell, als ich vom Bahnhof in Paço de Arcos durch die Hochhaussiedlung nach Hause ging. Eine Sirene heulte, und Männer rannten zum Gebäude der Bombeiros Voluntários. Kurz darauf donnerten zwei Wagen der Freiwilligen Feuerwehr an mir vorbei, und ich hatte den Eindruck, dass alles immer weiterging und nie anhielt. Es gab keine freien Flächen mehr, die man sich mit Muße und nach Geschmack selbst kolorieren konnte.
An der Straßenecke zögerte ich und überlegte, ob ich noch auf ein Bier bei António Borrego vorbeischauen sollte. Es war früher, als ich gedacht hatte, weil ich zu müde gewesen war, mit Luísa zu Abend zu essen, auf der Zugfahrt nach Hause jedoch wieder ein wenig wacher geworden war. Doch zuerst musste ich duschen. Sobald ich das Haus betreten hatte, wusste ich, das ich nicht allein war. Die Katze saß in der halbdunklen Küche auf einem Stuhl, die Krallen brav eingezogen. Sie schloss ihre gelben Augen, und ich ließ sie allein, damit sie in Ruhe über die Jagdopfer der kommenden Nacht nachdenken konnte.
Als ich auf dem Treppenabsatz stehen blieb, war mir, als hätte ich ein ganz leises Wimmern gehört. Im Haus brannte kein Licht. Ich ging über den Läufer zu Olivias Zimmer, öffnete die Tür und blickte direkt in ihre aufgerissenen Augen und den zu einem Schrei des Entsetzens geöffneten Mund. Ich schüttelte den Kopf und trat wieder hinaus,
Weitere Kostenlose Bücher