Tod in Lissabon
ist.«
»Nein.«
»Nein. Das dachte ich mir. Nachdem er Sie vom Balkon geworfen hätte, hätten Sie es mit zwei gebrochenen Beinen auch kaum ins Büro geschafft.«
Er blickte, die Hände zwischen die Knie geklemmt, zu der halb offenen Tür.
»Sie wollen also reden«, sagte ich. »Dann lassen Sie uns reden. Reden wir darüber, wie Agente Carlos Pinto mit einem Paar Kanonenstiefeln durch mein Leben getrampelt ist und alles platt gewalzt hat.«
Er strich sich durch sein kurz geschnittenes Haar und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger heftig über die Nasenwurzel.
»Sie ist sechzehn, und Sie sind fast zehn Jahre älter. Verdammt. Ich höre mich schon an wie ein beschissener Anwalt. Es gibt Gesetze, den Verkehr mit Minderjährigen betreffend, Agente Pinto. Wird so was heutzutage auf der Polizeischule nicht mehr gelehrt?«
»Ja, es gibt Gesetze, und sie werden auch nach wie vor gelehrt, aber wie Sie wissen, Inspektor, kann man mit vierzehn ein alter Hase oder mit vierundzwanzig noch unschuldig sein. Es gibt eine Grauzone von etwa zehn Jahren.«
»Vierundzwanzig?«, fragte ich und suchte seinen Blick.
Er reckte das Kinn und sah mich herausfordernd an.
»Genau, Inspektor. Ich lebe noch bei meinen Eltern. So leicht ist das nicht.«
Olivia hatte gesagt, er hätte nicht gewusst, was er tat.
Er grinste nervös.
»Sie haben Glück, Agente Pinto. Sie haben Glück, dass die Drogenfahndung aufgekreuzt ist. Sie haben Glück, dass ich mit Olivia geredet habe. Sie haben Glück, dass ich mein halbes Leben lang mit einer Engländerin verheiratet war. Sie haben Glück …«
»… sie getroffen zu haben«, sagte er und sah mich fest an. »Ich habe Glück, dass ich Ihre Tochter getroffen habe … und übrigens auch, Sie getroffen zu haben.«
»Das hat sie mir auch gesagt«, sagte ich, mitgerissen von allen möglichen Gefühlen.
»Ich liebe sie«, sagte er nüchtern und ohne jedes Getue.
»Ich weiß nicht, ob sie schon alt genug ist, um den Unterschied zu erkennen zwischen jemandem, der sie liebt, und jemandem, der nach einem Mädchen sucht, das er leicht rumkriegen kann.«
Sein Zorn blitzte kurz auf, impulsiv und strahlend wie ein Magnesiumblitz, und genau das hatte ich sehen wollen.
»Wenigstens bin ich nicht schwarz«, sagte er, was ich vermutlich verdient hatte.
Ich zeigte mit meinem längsten und bohrendsten Finger auf ihn und stieß ihm damit in die Brust.
»Ich vertraue dir, Carlos Pinto«, sagte ich, »und das war der letzte Grund, warum du Glück hast.«
Er lehnte sich blinzelnd zurück. Die Wut war verflogen, und in seinem Gesicht machte sich etwas wie Schmerz breit. Er nickte mir zu. Ich ließ meinen Finger sinken und nickte zurück. Dann zog ich eine Schublade auf, legte meine Füße darauf, starrte an die Decke und nippte fünf Minuten lang wortlos mit schmerzverzerrter Miene an meinem Kaffee.
»Was jetzt?«, fragte Carlos, noch immer nervös.
»Ich denke gerade, dass dieser Zahn hier unter meiner neuen Brücke wehtut, wenn ich etwas Heißes trinke.«
Ich rief meine Zahnärztin an, die sagte, dass sie mich irgendwann am Nachmittag dazwischenschieben könnte.
»Was ist mit Xeta?«, fragte Carlos.
»Narciso weiß genau, dass es ein hoffnungsloser Fall ist.«
»Im Obduktionsbericht heißt es, man hätte drei verschiedene Samentypen in seinem Rektum, zwei weitere in seinem Bauch gefunden. Außerdem war er HIV-positiv.«
Ich warf die Hände in die Luft.
»Ich mag es nicht, mit halber Kraft an einem Fall zu arbeiten, aber man muss auch erkennen, wann man nicht gewinnen kann. Das weiß Narciso auch. Er hat eine Art inoffizielle Suspendierung verhängt.«
»Und …«, sagte Carlos nach kurzem Nachdenken, »essen wir in Alcântara zu Mittag?«
»Du lernst schnell«, sagte ich. »Du lernst viel zu schnell.«
Wir saßen vor dem Navigator-Restaurant, zwei Läden entfernt vom Wharf-One-Nachtklub, vor uns eine große Platte mit Sardinen, Salzkartoffeln und Salat. Gemeinsam bestellten wir eine Karaffe Weißwein. Die Sardinen waren perfekt, nicht zu groß und frisch vom Kutter. Wir nahmen sie schweigend aus. Schließlich kam der Kellner, räumte unsere Teller ab, und wir bestellten einen Kaffee.
»Lass uns durchgehen, was wir bisher haben«, sagte ich.
Carlos zückte sein Notizbuch und blätterte darin, während er zu einem Resümee ansetzte:
»Wir haben ein sexuell äußerst freizügiges Mädchen namens Catarina Oliveira, die zuletzt gesehen wurde, als sie in einen schwarzen Mercedes C 200, Benziner, mit
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