Tod in Lissabon
dir das nur, weil er allen Grund hat, wütend zu sein. Vielleicht nicht auf uns, aber …«
»Du solltest ihm ein Angebot machen.«
»Vater hat mir auf seinem Sterbebett das Versprechen abgenommen, es nicht zu tun. Ich kann nicht.«
Miguel zuckte die Schultern. Es fühlte sich gut an, wieder einen schweren Anzug zu tragen und nicht in der Kühle einer Klimaanlage zu sitzen.
Pedro rückte das Foto auf seinem Tisch gerade und sah, wie der breite Rücken seines Bruders durch den Türrahmen verschwand. Er hatte ihm den zweiten letzten Wunsch seines Vaters verschwiegen, der lautete, dass sein jüngerer Bruder nichts von der Banco de Oceano e Rocha oder einer ihrer Tochterfirmen erben sollte. Es war das Einzige, was er nicht verstanden hatte, und sein Vater hatte es ihm auch nicht erklärt, doch nun war dieses Problem auf seltsame Weise gelöst – Manuel Abrantes existierte nicht mehr, und Miguel da Costa Rodrigues musste auf jeden Fall in den Vorstand der Bank.
Miguel da Costa Rodrigues war ein anderer Mensch als Manuel Abrantes. Der alte Manuel war nicht nur ein zerschredderter Pass oder eine alte Haut, die er in seiner Wohnung in São Paulo zurückgelassen hatte. Er war tot und begraben. Miguel da Costa Rodrigues war mehr als nur ein anderer Name. Er war kein Mensch, der folterte, vergewaltigte, mordete und kurz entschlossen Hinrichtungen vollstreckte. Er hatte einen Abschluss von einer amerikanischen Universität und sieben Jahre im brasilianischen Bankgeschäft gearbeitet. Er war charmant und freundlich und erzählte viel zu viele schlechte Witze. Er mochte Kinder, und Kinder mochten ihn. Er war beliebt im Büro, wurde wegen seiner einzigartigen Beziehung zu dem Besitzer der Bank geachtet und wegen seiner instinktiven Gabe, Menschen zu manipulieren und ihre Stärken und Schwächen zu erkennen, auch ein wenig gefürchtet.
So hatte er zum zweiten Mal in seinem Leben Erfolg.
Am 19. Januar 1981 heiratete er die Frau, die sein Bruder für ihn ausgesucht hatte – Lurdes Salvador Santos. Nicht einmal der Name störte ihn. So viel angedeutete Heiligkeit hätte ihn vor zehn Jahren noch im Dunkeln schwitzen lassen. Jetzt sonnte er sich, wenn schon nicht in ihrer Schönheit, so doch in ihrem sanften Wesen und ihrer völligen Hingabe. Ihr einziges Unglück waren zwei kurz aufeinander folgende Fehlgeburten, nach denen der Arzt ihnen riet, es nicht erneut zu versuchen.
Die zweite Fehlgeburt enttäuschte ihn schwer, zumal sie zu einer Zeit geschah, als er geglaubt hatte, dass nichts mehr schief laufen könnte. Im Juni hatte er die Baugenehmigung für ein zweiundzwanzigstöckiges Hochhaus am Largo Dona Estefânia bekommen. Eine Woche später begannen die Bauarbeiten, und er machte sich in Lissabons Geschäftswelt einen Namen als Director Geral de Oceano e Rocha Propriedades Lda, mit einem großen Aktienanteil und einem Sitz im Aufsichtsrat der Bank.
Am Neujahrstag 1982 hatten Miguel und Lurdes Rodrigues Pedro und Isabel Abrantes mit ihren drei Kindern zum Mittagessen in ihr Haus in der Altstadt von Cascais eingeladen. Die Sonne hatte den ganzen Tag geschienen, doch es war kalt, und nach Sonnenuntergang fielen die Temperaturen bis auf den Gefrierpunkt.
Pedros Frau war im achten Monat schwanger. Deshalb saß sie auf der Rückfahrt nach Lissabon mit den beiden Mädchen hinten, während der junge Joaquim vorne neben seinem Vater sitzen durfte.
Sie fuhren in ihrem sechs Monate alten Mercedes-Kombi auf der Überholspur der Avenida Marginal und hatten São Pedro do Estoril gerade hinter sich gelassen, als drei Dinge gleichzeitig passierten: Der kleine Joaquim stand auf dem Vordersitz auf, ein entgegenkommender Wagen überquerte kurz den Mittelstreifen, und auf der rechten Spur wurde Pedro von einem BMW überholt. Pedro streckte die Hand aus, um Joaquim zurück auf den Sitz zu drücken, und riss den Mercedes nach rechts, wobei er den BMW auf der Innenspur übersah, der gegen den rechten Kotflügel seines Wagens prallte. Der Mercedes drehte sich zweimal um die eigene Achse, überschlug sich und rollte weiter über eine steil abfallende Böschung. Die Windschutzscheibe barst beim Aufprall auf die Felsen, die drei Kinder wurden herausgeschleudert, der Wagen überschlug sich erneut und landete kopfüber im eiskalten Atlantik.
Die Bombeiros Voluntários waren binnen zehn Minuten vor Ort. Menschen standen bereits weinend am Straßenrand und blickten auf die zerschmetterten Leichen der drei Kinder auf den Felsen. Die
Weitere Kostenlose Bücher