Tod in Lissabon
kosten. Das klang nach leicht verdientem Geld, wenn man es ertragen konnte, den ganzen Tag in verfaulte Gebisse zu gucken.
Als ich das Provisorium am Campo Grande mit einem Kaffee testete, blickte ich auf ein Gebäude, das, wie mir in diesem Moment klar wurde, die Biblioteca Nacional war. Ich ging hinein und wanderte zwischen den Bücherregalen umher, bis ich die Psychologie-Abteilung fand. Ich sah ihn zuerst von hinten, die lange Mähne brauner Locken. Er war also aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Das hatte ja nicht lange gedauert. Ich setzte mich neben ihn. Er sah mich an, und ich hatte seine volle Aufmerksamkeit.
»Interessieren Sie sich für Bücher, Inspektor?«
»Ich mag José Saramago.«
»Wirklich? Sie überraschen mich.«
»Er hat dieselbe Haltung zur Zeichensetzung wie ich.«
»Man braucht keine.«
»Oder er beherrscht sie einfach nicht«, sagte ich. »Das wäre doch eine Erklärung, oder?«
Er hätte beinahe gelächelt. Ich wies mit dem Kopf zur Tür, wir verließen das Gebäude und setzten uns auf weiße Plastik-Stühle vor dem Café. Er bestellte eine bica , ich entschied mich diesmal für ein Glas Wasser. Dann nahm er eine von meinen Zigaretten, und ich ließ ihn.
»Wie geht’s voran, Inspektor?«
»Ich bearbeite den Fall nicht mehr.«
»Dann ist das ein rein privater Besuch?«
»Ich habe in den letzten paar Tagen einiges durchgemacht.«
»Wie viele davon haben Sie in den tacos verbracht?«
»Ich sage ja nicht, dass deine eine Strandparty waren.«
»Waren sie auch nicht.«
»Mein Haus ist durchsucht worden.«
»Ich war es nicht.«
»Von einigen Beamten der Drogenfahndung.«
»Haie fressen alles, sogar sich gegenseitig, das wissen Sie doch.«
»Wer hat es deiner Meinung nach arrangiert?«
»Sie sind doch der Kommissar.«
»Warum bist du ein paar Nächte in den tacos gelandet?«
»Weil Sie mich da reingesteckt haben.«
»Und wer hat mir deine Telefonnummer gegeben?«
Er ließ sich gegen die Lehne seines weißen Plastikstuhls fallen. »Sie sind intelligenter, als Sie aussehen, Inspektor.«
»Deswegen habe ich bis vor kurzem auch einen Bart getragen. Kannst du dir einen Grund vorstellen, warum Dr. Oliveira sich auch nur im Geringsten für dich interessieren sollte?«
»Es wäre seltsam, wenn er ausgerechnet jetzt damit anfangen würde«, sagte er, »weil wir uns nie begegnet sind.«
»Bevor dein Studio in Flammen aufgegangen ist, hatte ich Gelegenheit, deine Kontoauszüge zu studieren«, log ich.
»So etwas macht Sie ja gerade zu dem interessanten Menschen, der Sie sind, Inspektor.«
»Ich habe keinerlei Kreditunterlagen gefunden und auch keine Kreditrate, die von deinem Konto abgebucht wird.«
»Und was wollen Sie damit sagen, Inspektor? Dass Dr. Oliveira mir die Ausrüstung gekauft hat? Wenn Sie das wirklich glauben, sind Sie verrückt.«
»Wirklich?«, gab ich zurück und ließ ihn auf der kleinen Rechnung für eine bica und ein Wasser sitzen.
Ich rief Carlos an, der mittlerweile alle Zeugen von der Bushaltestelle kontaktiert hatte.
»Zwei Frauen haben den Wagen fünf oder zehn Minuten mit laufendem Motor vor der Schule stehen sehen.«
»Er hat darauf gewartet, dass die Schule aus ist.«
»Sieht ganz so aus.«
»Ich unterhalte mich jetzt mit dem Barkeeper im Bella Italia . Bist du in Sachen Xeta irgendwie weitergekommen?«
»Nichts«, sagte Carlos. »Ich habe mich auch wegen Valentim erkundigt …«
»Ich habe gerade mit ihm gesprochen.«
»Ach so. Außerdem hat ein Typ namens João José Silva nach dir gesucht.«
»Bei der Polícia Judiciária?«
»Das hat der Beamte am Empfang jedenfalls gesagt.«
»Hat er irgendwas hinterlassen?«
»Er lässt ausrichten, dass er nach wie vor nichts von Lourenço Gonçalves gehört hat. Was hat das zu bedeuten?«
»Ich weiß nicht, ob es überhaupt irgendwas zu bedeuten hat. Es ist bloß ein Name, der immer wieder auftaucht.«
36
Freitag, 12. Juni, 199–,
Pensão Nuno, Rua da Glória, Lissabon
Wie kam es, dass Mädchen heutzutage so etwas taten? Wie kam es, dass dieses Mädchen es jetzt tat? Wie war es so weit gekommen? »Mein Gott«, sagte Miguel schließlich laut, aber nicht so laut, dass die Menschen, die er durch ein primitives Loch in dem Putz und einen venezianischen Spiegel beobachtete, die satte, unterdrückte Wollust in seiner Stimme hörten.
Bis zu diesem jüngsten kleinen Laster war es ein langer, langsamer Abstieg gewesen. Es war erstaunlich, wie schnell es einem langweilig wurde. Pornografie
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