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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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war im Grunde Biologie, Hurerei kaum etwas anderes als eine praktische Sektion. Es hatte ihm nicht gefallen. Darum war es auch nicht gegangen.
    Ihre Namen hatten ihm schließlich auch zugesetzt. All die Teresas, Fátimas, Marias. Lauter kleine Heilige, santinhas , wie er sie nannte, die mit großen Augen zu ihm hochstarrten. Das brauchte er nicht. Davon kriegte er sonntags in der Kirche genug.
    Keine Huren mehr, keine santinhas . Er dachte, er sei vielleicht geheilt, doch er hatte feststellen müssen, dass er noch immer nach etwas tastete wie ein Künstler, der dasselbe Motiv wieder und wieder malt, um herauszufinden, was er ausdrücken will.
    Er hatte Jorge gesagt, er solle ihm keine Mädchen mehr schicken, und damit hatte sich das erledigt. Aber Jorge … Jorge hatte ihm etwas vorenthalten. Er hatte etwas Besonderes, aber Miguel müsse in die pensão kommen, um es zu sehen.
    Er war an einem Freitagmittag gekommen. Wann war das? Das musste Ewigkeiten her sein, oder nicht? Jorge hatte ihn nach oben in ein Zimmer geführt, ihm den venezianischen Spiegel gezeigt und war gegangen. Seine Kehle hatte sich in vertrauter Weise zugeschnürt, und er hatte mit Daumen und Zeigefinger an den Hautfalten seines Halses gezupft. Er hatte den Spiegel auf seiner Seite der Wand beiseite geschoben und durch das gezackte Loch einen ihm namentlich bekannten Lissabonner Spitzenarchitekten gesehen, mit einem jungen Mädchen, das die Beine gespreizt und die Fersen gegen das Waschbecken gestemmt hatte.
    Als er die beiden beobachtete, durchzuckte ihn die Angst, dass er nicht durch einen Spiegel, sondern durch ein Fenster blickte, bis er erkannte, dass die kräftig geschminkten Augen des Mädchens auf etwas anderes fixiert waren. Natürlich, denn wenn sie seinen kahlen Kopf in der kleinen Nische gesehen hätte, hätte es einen Aufruhr gegeben. Er winkte ihr zu, um zu testen, ob sie reagierte. Doch die beiden rammelten selbstvergessen weiter. Er setzte sich auf das Bett und zuckte minutenlang nicht mit der Wimper, bis der Architekt fertig war.
    Fasziniert beobachtete er, wie die beiden aufs Bett zurückfielen und der Mann das Mädchen von seinem Schoß auf die Kissen schob. Als der Mann vor den Spiegel trat, sein Gesicht auf verräterische Spuren untersuchte und hektisch seinen Penis wusch, der aussah wie eine geschälte Garnele, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken, und er spürte, wie er in das Drama dieser kleinen Privatvorstellung hineingezogen wurde. Der Architekt hatte es eilig, sich anzuziehen, er zerrte an seinem Hemd und warf zu viel Geld auf das Bett, auf dem das Mädchen sich noch immer nicht gerührt hatte. Miguel spürte, wie sein Herz pochte, als die Tür zufiel und er die hastigen Schritte auf den Holzdielen hörte. Er strich sich über seine Glatze, die pomadisierten, sauber gestutzten Haare und weiter den Nacken hinunter bis zu den Schultern, die er mit beiden Händen fasste.
    Das Mädchen war liegen geblieben, das Gesicht in den Kissen vergraben. Jetzt streckte sie eine Hand nach hinten aus. Gerührt bemerkte er den billigen Ring an ihrem Finger. Sie griff sich zwischen die Beine und zog ein gebrauchtes Kondom heraus wie einen Splitter. Der fette Mann sank stöhnend auf die Knie. Dieser Anblick hatte etwas in ihm befriedigt, irgendeine festgetretene Erdkruste war aufgebrochen und hatte die dunkle, fruchtbare Erde darunter freigelegt.
    Miguel bewunderte die Geschichte. Er mochte ihr Gewicht, ihr gewaltiges, gletscherartiges, unaufhaltsames Fortschreiten. Er hätte sie gerne gestaltet, und das hatte er auf seine Weise auch, aber nicht genug. Vermutlich genoss er diese kleine Szene deshalb so sehr – sie war ein Schnipsel der geheimen Geschichte eines Mannes, seiner wahren Geschichte. Die Geschichte, die nie veröffentlicht werden würde, aber bekannt … beobachtet worden war.
    Dann sah er dieses Mädchen.
    Jorge hatte Recht. Sie war anders. Sie war ›etwas Besonderes‹. Jorge hatte ein beunruhigend gutes Gedächtnis.
    Sie war aufgestanden und blickte zum Spiegel. Er wollte sie von vorn sehen, er wollte, dass sie direkt in den Spiegel blickte. Ihre großen blauen Augen starrten mit schrecklicher Unschuld ins Nichts, und das verband ihn mit ihr. In allem, was sie tat, suchte sie nach etwas. Genau wie er. Betrachtete die Dinge immer wieder von neuem, modellierte sie um, ohne je zu ihrem Ursprung vorzudringen, ohne zu wissen, was der Ursprung war.
    Er hatte sich schon entschieden. Er musste mit ihr sprechen. Er wusste

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