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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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bereits, wo sie zur Schule ging, weil er ihr dorthin gefolgt war. Heute sollte der Tag sein.
    Er saß auf der Bettkante und hielt sich mit beiden Händen den Bauch. Schwarze Härchen quollen aus seinem Hemd, wo ein Knopf aufgesprungen war. Vor dem Spiegel knöpfte er es ganz auf und zog seine Wampe ein. Er war fetter als der Hintern eines mit Eicheln gemästeten Schweins. Er knöpfte sein Hemd wieder zu, schlug den Kragen hoch und band die Krawatte, die Sofias Freundin, die Tochter des Inspektors, für ihn gemacht hatte. Er zog seine Jacke an und verwandelte sich wieder in einen noblen Bankier.
    Dann sah er sich in dem Zimmer um, als wäre es das letzte Mal. Der rissige Stuck, die konzentrischen Flecken an der Decke, der unebene Fußboden, die abgetretenen, florlosen Läufer, die die Löcher in dem spröden Linoleum verdeckten, der Kleiderschrank mit der nicht schließenden Tür. Er steckte die Hände in die Taschen und rieb mit seinen Kreditkarten über seine Schenkel. Schließlich verließ er das Zimmer und stieg die schwach beleuchtete Holztreppe mit dem blauen Linoleumstreifen zu dem neonbeleuchteten Empfangstresen hinab, hinter dem kein Jorge wartete, und weiter hinunter durch die breite hölzerne Haustür in den dunklen Schatten der stickigen Straße und den leisen Applaus des Verkehrs. Er atmete tief ein. Das war das letzte Mal gewesen, definitiv das letzte Mal.
     
    Er wartete mit laufendem Motor in dem Mercedes seiner Frau vor der Schule in der Avenida Duque de Ávila. Sie musste jeden Moment herauskommen. Ein spitzer Gegenstand in seiner Hosentasche kratzte über seinen Schenkel. Er tastete danach … was war das? Eine Tube Gleitmittel. Wie war die dorthin gekommen? Er wollte das nicht tun. Und Kondome. Das hatte er nicht vorgehabt. Er warf sie ins Handschuhfach.
    Da war sie. Und wer war der Mann? Mit wem redete sie da? Er ist hinter ihr her. Dieser Blick. Er hat es schon einmal bekommen, das sieht jeder. Jetzt geht sie weg. So sollte es nicht sein. Was für ein Gang, einen Fuß vor den anderen, genau wie ein Model. Er will sie nicht gehen lassen. Er hat ihr Handgelenk gepackt, und sie hat sich losgerissen. Sie will das nicht. Mein Gott, jetzt hat er sie geschlagen, und sie sieht ihn an. Was sagt dieser Gesichtsausdruck?
    Miguel schluckte heftig, alles geschah schneller, als er erwartet hatte, und es passierte mehr, als er vorausgesehen hatte. All die Leute, die auf der Straße unterwegs waren. Er fuhr an. Sie hatte sich auf ihrem Laufsteg wieder in Bewegung gesetzt.
    An der Ampel hielt er und öffnete mit dem elektrischen Fensterheber das Fenster auf der Beifahrerseite.
    »Verzeihung«, rief er.
    Sie hat sich zu ihm umgedreht. Diese Augen sehen jetzt ihn an. Wird er die Worte herausbringen?
    »Wie komme ich von hier zum Monsanto-Park?«
    Sie ist vom Bürgersteig auf die Straße getreten, hat einen Ellenbogen in das offene Fenster gelegt und einen Blick auf die Rückbank geworfen. Warum? Was will sie auf einmal? Ihre Fingernägel sind bis aufs Nagelbett abgekaut.
    »Monsanto-Park … von hier? Das ist ziemlich kompliziert.«
    Schweiß brach auf seinen Handflächen aus.
    »Ist das denn die richtige Richtung?«
    »Mehr oder weniger schon. Nur … nach dem Parque de Palhavã wird es ein bisschen kompliziert.«
    »Sie wollen nicht zufällig in dieselbe Richtung?«
    »Ich nehme den Zug nach Cascais.«
    »Da will ich auch hin, ich wollte bloß um diese Zeit an einem Freitagnachmittag die Hauptstraßen meiden. Ich will durch den Monsanto-Park zur Autobahn nach Cascais fahren. Ich fahre Sie … bis vor die Haustür. Was meinen Sie?«
    Sie sah Miguel an. Ihre blauen Augen blickten in seine. Und was sah sie? Die Verletzlichkeit eines dicken Mannes, nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste.
    »Es sei denn …«, sagte er, inspiriert vom Stress des Augenblicks. »Sie müssen doch nicht erst noch zurück ins Büro, oder?«
    Die Masche war gut. Er erinnerte sich.
    Sie stieg ein, und die Ampel sprang um. Miguel ließ die Kupplung ein bisschen zu ruckartig kommen, sodass der Wagen mit quietschenden Reifen vorpreschte. Er lehnte sich in seinen Sitz zurück und entspannte sich. Sie waren zusammen. Er hatte es geschafft. Er hatte den Kontakt hergestellt.
    Sie hatte eine kleine Tasche, die sie zwischen ihre Füße warf. Sie legte den Sicherheitsgurt nicht an. Er fuhr das Fenster wieder hoch, und sie genossen die kühle Luft aus der Klimaanlage.
    »Immer weiter geradeaus«, sagte sie und wippte leicht nach vorn und

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