Tod in Lissabon
tatsächlich geöffnet. Ein kleiner Mann mit billigem Anzug und einer netten kleinen Wampe stand in dem dunklen Zimmer.
Ich nickte ihm zu, und er war schneller die Treppe hinunter verschwunden als ein Taschendieb. Ich schaltete das funzelige Licht ein. Das Zimmer war leer. Kein Mädchen weit und breit. Ich sah sogar im Schrank nach, dessen Tür wegen des unebenen Bodens offen stand.
»Interessant, Jorge.«
Ich tastete das unzerwühlte Bett ab. Am Fußende gegenüber dem Spiegel entdeckte ich eine kleine Kuhle, setzte mich darauf und stellte fest, dass der Platz vorgewärmt war. Auf dem Spiegel prangten zwei Daumenabdrücke. Ich hängte ihn ab und hatte freien Blick ins Nebenzimmer, wo ein Mann über einem mit Handschellen ans Bettgestell gefesselten Mädchen sein Bestes gab.
»Wer war hier letzten Freitagmittag, Jorge?«, brüllte ich. »Und an dem Freitag davor und wer weiß an wie vielen anderen Freitagen noch?«
Der Typ im Nebenzimmer hielt inne und sah sich um.
»Los, Jorge!«
Der Typ stieg ab und trat vor den Spiegel. Das Mädchen folgte ihm mit Blicken. Ich klopfte von der anderen Seite gegen das Glas, und er machte einen Satz, als hätte er seine Frau am Fenster gesehen. Hastig schlüpfte er in seine Kleider. Er streifte nicht mal das Kondom ab. Ich zückte das Bild von Miguel Rodrigues und hielt es Jorge unter die Nase.
»War das der Typ, der letzten Freitagmittag in diesem Zimmer war?«
Er nickte.
»Laut und deutlich, Jorge.«
»Er war es.«
Der Mann aus dem Nebenzimmer tauchte mit mordlustigem Blick im Türrahmen auf.
»Wenn Sie bei einer polizeilichen Ermittlung helfen wollen, können Sie Ihre Adresse am Empfang hinterlassen«, sagte ich.
Er donnerte wortlos die Treppe hinunter. In dem Guckloch blickte das Mädchen auf dem Bett von einem angeketteten Handgelenk zum anderen.
»Wie lange kennen Sie ihn schon, Jorge?«, fragte ich. »Ihr müsst doch mittlerweile richtig alte Kumpel sein.«
»Ungefähr fünfunddreißig Jahre.«
»Ungefähr fünfunddreißig Jahre«, wiederholte ich. »Anfang der Sechziger. Dann ist er ein uralter Kumpel.«
Ich musterte ihn von oben bis unten – diesen müden, ruinierten alten Mann.
»Ich glaube, ich brauche eine Zigarette, Inspektor. Meine sind unten.«
Ich bot ihm eine von meinen an und gab ihm Feuer. Mit zitternden Händen setzte er sich auf das Bett.
»Sieht so aus, als hätten sich eure Lebenswege irgendwann getrennt und wären auf unterschiedlichen Gleisen weiterverlaufen«, meinte ich.
»Er hatte Vorteile, die ich nicht hatte.«
»Familie?«
Das Zimmer war stickig und heiß. Jorge zog an der Zigarette und zupfte sein Hemd von seinen schwabbeligen Bauchfalten. Sein ohnehin graues und gebrochenes Gesicht nahm im Licht der 40-Watt-Birne eine grünliche Färbung an. Seine Augen starrten in ein ausgetrocknetes Loch, verschlammt mit Bitterkeit.
»Seinem Vater gehörte eine Bank.«
»Die Banco Oceano e Rocha?«, fragte ich, und er nickte. »Habt ihr euch so getroffen?«
»Nein, nein. Wir haben uns in Caxias kennen gelernt … im Gefängnis von Caxias.«
Ich betrachtete das zerknitterte Bild des wohlgenährten Miguel da Costa Rodrigues auf der Wohltätigkeitsgala im Ritz.
»Wie Kommunisten seht ihr nicht aus«, sagte ich. »Zumindest er nicht.«
Jorge schüttelte den Kopf.
»Wart ihr Gauner?«, fragte ich. »Das würde schon eher passen.«
»Wir waren beide bei der PIDE«, sagte Jorge und wischte sich Asche von seiner Hose. »Wir haben im Verhörzentrum gearbeitet …«
»Moment mal, Jorge«, sagte ich. »Sein Vater war Besitzer der Bank? Vor fünfzehn Jahren. Ich erinnere mich. Es war eine große Geschichte, die weltweit in allen Zeitungen stand. Der Besitzer der Bank wurde bei einem Autounfall auf der Avenida Marginal getötet. Die ganze Familie ist ums Leben gekommen. Ich kann mich nicht mehr an den Namen erinnern, aber Rodrigues war es nicht.«
»Der Name war Abrantes. Er heißt Manuel Abrantes.«
»Warum hat er seinen Namen gewechselt?«
Jorge warf seine Zigarettenkippe ins Waschbecken, wo sie zischend erlosch.
»Sie sind schon so weit gekommen, Jorge.«
»Er hat ein paar Sachen gemacht, Inspektor. Wir haben alle ein paar Sachen gemacht, und Manuel hat ein paar größere Sachen gemacht als die meisten anderen. Er war inspector de polícia , wie finden Sie das?«
»Über was für Sachen reden wir denn zum Beispiel?«
»Er hat im Gefängnis von Caxias eine Frau getötet. Ich glaube, es war ein Unfall. Sie hatte eine Fehlgeburt. Ich
Weitere Kostenlose Bücher