Tod in Lissabon
überrascht«, sagte ich. »Für mich ist das bloß der ganz normale Lauf der Wirtschaft. Geld kennt keine Moral.«
»Nach meiner Theorie sind sämtliche öffentlichen Bauten Salazars – die Autobahnen, die Straßen, die Brücke des 25. April, das Nationalstadion, die Modernisierungen in und um Lissabon – nicht nur durch seine erfolgreiche Außenhandelspolitik während des Zweiten Weltkriegs finanziert worden, sondern auch dadurch, dass er es den Nazis gegen Ende des Krieges durch seine stillschweigende Zustimmung ermöglicht hat, ihre Beute aus Europa fortzuschaffen. Und die Banco de Oceano e Rocha steckt da irgendwo mitten drin.«
»Das ist aber eine gefährliche Schlussfolgerung«, meinte ich. »Vielleicht willst du mir erklären, wie du dazu gekommen bist.«
»Direkt gegenüber der Banco de Oceano e Rocha in der Nähe der Metrostation Anjos in der Rua Francisco Ribeiro steht ein äußerst hässliches Gebäude, das der Banco de Portugal gehört. Dort werden die Unterlagen aller seit dem 19. Jahrhundert ins Handelsregister eingetragenen Unternehmen und Banken aufbewahrt. Wenn man ein echt langweiliger, bemitleidenswerter Mensch ist, kann man dorthin gehen, die Satzung der Banco de Oceano e Rocha einsehen und feststellen, dass die drei Gründungsdirektoren der Bank Joaquim Abrantes, Oswald Lehrer und Klaus Felsen waren.«
»Wann war das?«
»Während des Krieges«, sagte sie und trank noch einen Schluck Whisky. »1946 gab es dann nur noch zwei Direktoren – Joaquim Abrantes und Klaus Felsen, die sich die Besitzanteile an der Bank im Verhältnis einundfünfzig zu neunundvierzig Prozent teilten.«
»Ich dachte, nach dem Krieg wären sämtliche deutschen Vermögenswerte in Portugal beschlagnahmt worden.«
»Das wurden sie auch. Doch Joaquim Abrantes war der Eigner der einundfünfzig Prozent, er war der Besitzer. Es war eine portugiesische Bank«, sagte sie. »Interessant ist auch, dass ich das Archiv eines belgischen Geschäftsmanns eingesehen habe, mit dessen Enkelin ich befreundet bin. Rate mal, wessen Name dort auftaucht.«
»Klaus Felsen.«
»Er war Wolfram-Exporteur.«
»Du glaubst also, du bist auf einer heißen Spur«, sagte ich. »Was ist nach dem Krieg mit Klaus Felsen geschehen?«
»Er steht bis 1962 als Eigner in der Satzung der Bank, ist dann plötzlich verschwunden und taucht auch nie wieder auf. Also habe ich meinen Vater gefragt, ob er den Namen schon einmal gehört hätte, und er sagte, das Ganze wäre ein Skandal gewesen, der die Wirtschaftskreise Lissabons ziemlich erschüttert hätte. Am Weihnachtsabend 1961 hat Klaus Felsen in seinem Haus einen deutschen Touristen erschossen und anschließend wegen Mordes fast zwanzig Jahre im Gefängnis von Caxias gesessen.«
»Interessant.«
»Und weißt du, wer der Anwalt der Bank war?«
»Ich glaube schon«, sagte ich. »Dr. Aquilino Oliveira.«
»Er hat die Satzung der Bank komplett umgeschrieben und dabei unseren Freund Klaus Felsen ausgeschlossen.«
»Wie lange war er ihr Anwalt?«
»Bis 1983.«
»Und danach?«
»Nicht mehr. Solche Geschäftsbeziehungen dauern nicht ewig, aber vielleicht hatte es auch etwas damit zu tun, dass Pedro Abrantes, der die Bank von seinem Vater übernommen hatte, bei einem Autounfall ums Leben kam.«
»Daran kann sogar ich mich erinnern. Vor allem an die Kinder.«
»Und Miguel da Costa Rodrigues wurde neuer Direktor und Hauptanteilseigner der Bank. Zu solchen Anlässen stehen immer Veränderungen an. Ein Anwaltswechsel zum Beispiel.«
»Da ist irgendwas, aber ich kann keine wirkliche Verbindung erkennen. Ich sehe kein Motiv für die Ermordung Catarinas. Ich sehe nicht, wie das …«
»Möchtest du Miguel da Costa Rodrigues vernehmen?«
»Ich möchte ihn so hart und schnell treffen, dass er keine Zeit mehr hat, sich hinter seinen wichtigen Freunden zu verstecken, dass er zur Polícia Judiciária kommen und sich mir und meinem Kassettenrekorder stellen muss.«
»Dann musst du die öffentliche Meinung auf deine Seite bringen.«
»Durch die Medien«, sagte ich. »Aber ich habe keine Geschichte. Du solltest diesen Jorge Raposo sehen, ein Ex-PIDE-Mann und der erbärmlichste Kerl in ganz Lissabon.«
»Aber was ist mit Klaus Felsen?«
»Der Typ muss doch inzwischen hundertzehn Jahre alt sein.«
»Achtundachtzig, um genau zu sein.«
»Lebt der etwa noch?«
»In der alten Satzung der Bank stand sogar eine Adresse. Also habe ich das Naheliegendste getan und im Telefonbuch nachgesehen, ob er noch immer dort
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