Tod in Lissabon
Polizei?«
»Nein, privat.«
»Von wem?«
»Darauf kommen wir später zu sprechen.«
»Um Ihre Frage zu beantworten«, sagte er gemessen, »nein, Inspektor, das wusste ich nicht.«
»Sie hatten zwei Büros. Eins im obersten Stockwerk des Gebäudes der Banco de Oceano e Rocha am Largo Dona Estefânia und eins in der Rua do Ouro.«
»Das ist korrekt.«
»Bis vor fünf Monaten haben Sie die Freitagnachmittage in Ihrem Büro in der Baixa verbracht. Gab es dafür einen bestimmten Grund?«
»Zum Ende der Woche habe ich mich immer gern ein bisschen zurückgezogen.«
»Heißt das, Sie haben dort Frauen empfangen?«
»Ich dachte, Sie wollten mich nach Daten und Terminen fragen.«
»Alles der Reihe nach.«
»Jorge Raposo hat mir in dieses Büro immer Mädchen geschickt.«
»Und was hat Sie veranlasst, die Pensão Nuno persönlich aufzusuchen?«
»Langeweile«, erwiderte er. »Jorge hat mich auf ein neues Angebot aufmerksam gemacht.«
»Frauen empfangen haben Sie aber lediglich in den Büros in der Rua do Ouro?«
»Dort war es privater. Es gab keine Mitarbeiter. Wenn dringend meine Unterschrift gebraucht wurde, hat meine Sekretärin mir die Unterlagen bringen lassen. Es war mein Freitagsbüro.«
»War das schon immer so?«
Er schwieg lange.
»Seit dem Tod meines Bruders«, sagte er schließlich. »Das war sein Büro. Ich wollte es nicht aufgeben. Ich habe es zu meinem eigenen gemacht und …«
»Wann war das?«
»Er ist am Neujahrstag 1982 gestorben«, sagte er, und Verzweiflung und Trauer krochen in sein ohnehin graues Gesicht, als ob jener Tag alles verändert hätte. »Bald danach hat es dann angefangen.«
»Was?«
»Das mit den Mädchen. Solange Pedro noch lebte, ist das nie passiert.«
»Wer war damals der Anwalt der Bank?«
»Der Anwalt?«, fragte er überrascht. »Dr. Aquilino Oliveira. Vor der Revolution war er schon der Anwalt meines Vaters.«
»Und was ist mit ihm geschehen?«
Miguel Rodrigues blinzelte und versuchte eine gedankliche Verbindung herzustellen, die ihm helfen konnte zu verstehen, warum er für den Mord an der Tochter seines Ex-Anwalts im Gefängnis gelandet war.
»Ich weiß es nicht. Ich bin mir nicht sicher, dass ich verstehe, was Sie meinen.«
»Er ist jetzt nicht mehr Ihr Anwalt, oder?«
»Nein, nein, er hat sich schon vor Jahren zur Ruhe gesetzt.«
»Zur Ruhe gesetzt?«
»Ich meine, er hat aufgehört, für uns tätig zu sein. Es war eine sehr turbulente Zeit für die Bank. Ich erinnere mich, dass ich ihn wegen der Kontinuität zum Weitermachen bewegen wollte. Doch er blieb beharrlich. Er sagte, er hätte noch einmal geheiratet und wollte seinen Lebensabend nicht damit verbringen, ständig unter Hochdruck zu arbeiten. Das musste ich akzeptieren.«
»Haben Sie seine Frau kennen gelernt?«
»Nein, nie.«
»Sie waren nicht auf der Hochzeit?«
»Unsere Beziehung war rein geschäftlich.«
»Haben Sie seine Frau je gesehen?«
»Wenn, dann erinnere ich mich nicht daran.«
»Das heißt, seit Anfang 1982 haben Sie in Ihrem Büro in der Rua do Ouro Mädchen empfangen. Ist Ihnen vielleicht eines der Mädchen aus jenen ersten Monaten besonders in Erinnerung geblieben?«
»Damals war ich völlig fertig, Inspektor. Wahrscheinlich ist es eine Krankheit. Ich konnte nicht anders. Die Aussicht hat mich jedes Mal sehr erregt, aber hinterher war da gar nichts. Mein Verstand hat die Erfahrung komplett ausradiert. Nur wenn ein Mädchen drei- oder viermal wiederkam, hätte ich mich vielleicht an sie erinnert.«
»Waren all diese Mädchen blond?«
Er saß da, die Handgelenke zwischen den Knien gekreuzt, und runzelte die Stirn, nicht so, als müsste er darüber nachdenken, sondern als würde er eine komplett neue Information betrachten.
»Damals waren sie so ziemlich alle blond, ja«, sagte er schließlich. »So habe ich darüber nie nachgedacht. Ich habe nie ausdrücklich nach Blondinen gefragt, aber offenbar war es trotzdem so.«
»Erinnern Sie sich an eine Gelegenheit aus jenen ersten Monaten des Jahres 1982, bei der Sie mit einem Mädchen ein bisschen grob werden mussten … irgendwann im April vielleicht?«
»Grob?«
Ich zog ein Foto von Teresa Oliveira aus der Tasche. Es zeigte sie in liegender Position, und ihre langen, gefärbten blonden Haare breiteten sich um sie aus. Sie sah entspannt aus, als würde sie schlafen, nicht mehr ganz jung und bestimmt nicht so frisch, wie sie mit einundzwanzig ausgesehen haben musste. Ich schob Miguel Rodrigues das Foto über den Tisch. Er
Weitere Kostenlose Bücher