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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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betrachtete es, ohne es in die Hand zu nehmen.
    »Das ist kein Trick oder Hinterhalt«, sagte ich. »Ihnen droht keine neue Anklage. Diese Frau ist vor kurzem gestorben. Können Sie sich erinnern, ob sie je in Ihr Büro in der Baixa gekommen ist und Sie dabei grob mit ihr werden mussten, um den Geschlechtsverkehr mit ihr zu erzwingen?«
    »Ich erinnere mich nicht«, sagte er. »Wirklich nicht. Es war eine sehr schwere Zeit für mich. Ich hatte meinen Bruder verloren, seine ganze Familie. Es war eine schreckliche Zeit.«
    »Ist Ihre Sekretärin in der Bank immer noch bei Ihnen angestellt?«
    Er zuckte leicht aggressiv die Achseln.
    »War sie auch schon 1982 Ihre Sekretärin?«
    »Ja. Aber hören Sie, Inspektor, wer ist diese Frau?«, fragte er und tippte auf das Foto.
    »Das sollen Sie mir sagen«, erwiderte ich.
     
    Wir ließen Miguel Rodrigues in quälender Ungewissheit zurück. Als man ihn in seine Zelle zurückführte, brüllte er immer noch Fragen und hatte wahrscheinlich weniger Ahnung als wir, warum er neun Monate lang beschattet worden war. Wir fuhren zurück nach Lissabon und direkt zum Turm der Banco de Oceano e Rocha. Dort angekommen, nahmen wir den gläsernen Lift durch das gläserne Atrium bis in den obersten Stock.
    Die Räume wirkten verlassen. Die meisten Mitarbeiter waren bereits gekündigt. Die verbliebenen Leute hatten in Schlüsselpositionen gearbeitet und wurden täglich von Ermittlungsbeamten der Regierung vernommen. Wir mussten eine halbe Stunde warten, bis wir Miguel Rodrigues’ Sekretärin sprechen konnten. Sie war Ende vierzig, trug eine Brille und sah sehr tüchtig aus. Stressfalten um den Mund aus jüngster Zeit ließen sie ein wenig grimmig wirken. Sie war die Art Frau, die alles über das Unternehmen wusste, für das sie arbeitete. Sie erkannte mich aus der Zeitung wieder und presste die Lippen aufeinander.
    Nach einem Blick in die entsprechenden Terminkalender erinnerte sie sich an jene Phase der Geschichte der Bank. Anfang 1982 war die reine Hölle gewesen. Man hatte in provisorischen Büros in der Avenida da Liberdade residiert, die nur unwesentlich größer waren als die in der Baixa.
    »Erinnern Sie sich daran«, fragte ich, »ob an einem Freitag Ende April oder Anfang Mai eine junge Frau aus der Anwaltskanzlei wegen einer Unterschrift vorbeigekommen ist? Wahrscheinlich sehr dringend und vermutlich um die Mittagszeit.«
    »Normalerweise habe ich eins unserer Mädchen geschickt.«
    »Sie war blond und höchstens einundzwanzig Jahre alt.«
    »Ja, ich erinnere mich. Sie hat Dr. Oliveira, unseren Anwalt, geheiratet. Sie war seine Sekretärin. Ich habe erst neulich an sie gedacht. Ich habe ihr Bild manchmal in der VIP gesehen. Sie ist gestorben, aber das wissen Sie ja.«
    »Ist sie im April oder Mai 1982 je zu Senhor Rodrigues’ Büro gegangen? Allein?«
    Die Sekretärin blinzelte hinter ihrer goldgefassten Brille.
    »Ja, in der Tat. Es war eine Woche vor ihrer Hochzeit. Und danach ist sie nicht mehr hierher gekommen. Es war gerade niemand da, der die Unterlagen zu Senhor Rodrigues bringen konnte, und sie meinte, sie werde selbst in der Baixa vorbeigehen.«
    Ich zeigte ihr das Foto von Teresa Oliveira, und sie nickte langsam.
    »Auf dem Foto sieht sie aber ziemlich ungesund aus«, meinte sie.

42
    Dienstag, 24. November 199–,
    Banco de Oceano e Rocha, Estefânia, Lissabon
     
    Wir aßen spät zu Mittag in einem kleinen Fischrestaurant an der Avenida Almirante Reis. Ich nahm gegrillte Calamares, Carlos entschied sich für Sepia in eigener Tinte, ein Gericht, das meine Frau immer als teerigen Turnschuh bezeichnet hatte. Wir teilten uns eine Halbliterflasche Wein und nahmen zum Abschluss zwei Kaffee.
    »Vielleicht hätten wir Miguel Rodrigues sagen sollen, wer die Frau auf dem Foto war«, sagte Carlos.
    »Dann hätte ich ihm alles vorkauen müssen«, sagte ich, »und das Gefängnis ist ein einsamer Ort voller Leere, nichts als der Geruch von auf engem Raum zusammengesperrten Männern und Langeweile. Miguel Rodrigues sitzt mindestens zwanzig Jahre für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Ich mag ihn nicht, und ich glaube nicht, dass er ein guter Mensch ist, möglicherweise ist er sogar ein kranker Mann. Aber ich werde bestimmt nicht derjenige sein, der seinen Verstand mit dem Gedanken belastet, dass er Analverkehr mit seiner eigenen Tochter hatte.«
    Es folgte ein längeres Schweigen, in dem Carlos seinen Kaffee süßte und zu der erforderlichen sirupartigen Substanz

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