Tod in Lissabon
Jahre alter Bart abrasiert werden.
Meine Tochter winkte mir zu, mein Schwager reckte die Daumen in die Höhe. Am Morgen beim Testwiegen hatte ich achtundsiebzig Kilo auf die Waage gebracht, mein Bauch war hart und flach wie seit meiner Teenager-Zeit nicht mehr, schließlich hatte ich pro Woche zweihundertfünfzig Kilometer auf dem Heimtrainer der Polizei zurückgelegt. Ich war voller Selbstbewusstsein … bis der Bürgermeister angefangen hatte zu reden. Die Sorglosigkeit der Menge wirkte aufgesetzt, die Aufmunterung meines Schwagers irgendwie unehrlich, genau wie das Winken meiner Tochter. In diesem Augenblick wusste ich, dass ich eine Rolle zu spielen hatte.
Ein dicker Mann mit Halbglatze, breitem Schnauzer, Blazer, grauer Hose und einer schrillen Krawatte trat an den Tisch meiner Tochter, küsste sie auf beide Wangen und drückte ihre Schulter. Eine meiner Nichten machte ihm Platz, und nachdem er allen die Hand geschüttelt hatte, setzte er sich.
Es wurde plötzlich still. Der Bürgermeister war auf das Geld zu sprechen gekommen. Vor Geld hatte man Respekt.
»Zwei Millionen achthundertdreiundvierzigtausendneunhundertachtzig Escudos.«
Die Menge kreischte los wie ein Schwarm Pfautauben. Sogar ich musste zugeben, dass das ein Haufen Geld für siebzehn Kilo Speck war. Ich hob die Hand und nahm den Applaus entgegen wie ein heimkehrender König.
Die Kapelle in meinem Rücken unterminierte meine Würde, indem sie eine flotte kleine Melodie spielte, als wäre ich ein toureiro , der gerade einen Bullen mit einer brillanten Finte ins Leere hatte laufen lassen. Eine Gruppe kleiner Mädchen in traditionellen Kostümen führte einen chaotischen und elefantösen Tanz auf. Zwei einheimische Fischer schleppten eine Waage auf das Podium. Das Publikum räumte die Plätze an der Bar und stürmte vor die Bühne. Der dicke Mann neben meiner Tochter hatte einen Stift gezückt und schrieb. Der Bürgermeister wehrte diverse Leute ab, die auch mal ans Mikrofon wollten, das er in seinen Anzug gesteckt hatte, sodass die Lautsprecher nun ein dumpfes Knirschen und Rumpeln übertrugen.
Die Ruhe wurde wiederhergestellt, als mein Hausarzt das Podium erklomm. Er balancierte einen Kneifer auf seiner Nase und erklärte die Regeln wie ein Onkologe, den man aufgefordert hatte, die schreckliche Diagnose zu stellen und nichts zurückzuhalten. Dann stellte er meinen Frisör vor, der mit Umhang und Schere hinter mir auftauchte.
Ich zog meine Schuhe aus und stieg auf die Waage. Der Arzt stellte die obere Skala auf achtzig ein und zählte dann von neunundachtzig rückwärts. Die Menge stimmte ein. Ich stand erhobenen Hauptes da, strahlte sie mit meinen teuren neuen Kronen an, schloss die Augen und dachte: Soufflé, heliumgefülltes Soufflé.
Bei dreiundachtzig hörte ich die Menge schwanken. Ich schwebte wie ein Brahmane. Bei zweiundachtzig riss ich die Augen auf, die Waage war im Gleichgewicht, und der Arzt verkündete mit ernster Stimme einen größeren Eingriff. Ich war empört. Das Publikum johlte.
Die beiden Fischer drückten mich auf einen Stuhl. Ich schlug um mich. Die Mädchen in der Landestracht flohen. Hatte ich vielleicht überreagiert? Unter Protest ließ ich mich fesseln. Mein Frisör wetzte sein Rasiermesser und visierte mich durch halb geschlossene Lider wie ein Gewohnheitskiller. Der Bürgermeister brüllte sich die Kehle aus dem Hals, bis ihm das Mikrofon wieder einfiel.
»Zé, Zé, Zé«, rief er und bat den fetten glatzköpfigen Mann mit dem Schnauzer, der bei meiner Familie gesessen hatte, aufs Podium. »Das ist Senhor Miguel da Costa Rodrigues, Direktor der Banco de Oceano e Rocha. Er hat Ihnen etwas mitzuteilen.«
Die Hautbeschaffenheit des Mannes ließ klar erkennen, dass er fünfmal so viel verdiente wie ich, auch wenn er seinen Hummer am Strand aß.
»Mit großem Vergnügen darf ich im Namen der Banco de Oceano e Rocha folgendes Angebot bekannt geben: Wenn Inspektor Coelho das Urteil des Arztes annimmt und sich den Bart abrasieren lässt, wird dieser Scheck über drei Millionen Escudos dem bereits gespendeten Geld hinzugefügt, sodass sich eine Gesamtsumme von sechs Millionen Escudos ergibt.«
Man hätte denken können, Sporting Lissabon hätte den Europapokal gewonnen, solchen Lärm veranstaltete die Menge. Es ließ sich nicht mehr ändern, Dulden in Würde blieb meine einzige Möglichkeit. Eine Viertelstunde später sah ich aus wie ein portugiesischer Dachs – eine besonders selten vorkommende Spezies.
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