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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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weniger auf Schultern wurde ich zur Bar A Bandeira Vermelha durchgereicht, die meinem alten Freund António Borrego gehörte, der sich selbst zum letzten Kommunisten Portugals erklärt hatte. Der Bankdirektor und der Rest meiner Familie wurden mit mir in das Lokal geschoben, und sogar der Bürgermeister drängte sich an meine Seite, das Mikro nach wie vor in der Brusttasche.
    António hatte Gläser mit eiskaltem Bier aufgereiht. Er sah aus wie ein Mann, der eine Mahlzeit vertragen könnte, ein ganzes Leben voller Mahlzeiten. Er war der Typ, der nicht einmal schwerer wurde, wenn man ein Schwein auf seinen Schoß setzte. Er hatte eine weiß behaarte Trichterbrust, tief in ihren Höhlen liegende Augen und buschige Brauen. Seine Unterarme waren drahtig und behaart wie die eines Affen. Außerdem hatte er eine Vergangenheit, von der ich nicht mal die Hälfte ahnte.
    Olivia, der dicke Mann und ich nahmen ein Bier. António hatte seine Polaroid-Kamera gezückt, um den Anlass für seine Wand der Bacchanalien festzuhalten.
    »Ich würde dich nicht wieder erkennen«, sagte er zu mir.
    Ich hob das Glas, Kondenswasser perlte wie Tränen an seinem Rand herab, ein emotionales Bier.
    »Mit meinem ersten Drink nach einhundertzweiundsiebzig Tagen«, sagte ich, »möchte ich auf die Gesundheit und die Großzügigkeit von Senhor Miguel da Costa Rodrigues von der Banco de Oceano e Rocha anstoßen.«
    Olivia erzählte mir, woher sie den Bankier kannte. Sie ging mit seiner Tochter zur Schule und entwarf Kleider für ihre Mutter. Er trug eine ihrer Krawatten. Er hatte sogar angeboten, ihr den Start in der Modebranche zu finanzieren. Ich erklärte ihm, dass ich wollte, dass sie zunächst ihre Ausbildung beendete. Eine teure internationale Schule in Carcavelos, bezahlt von ihren englischen Großeltern, die keine Enkelin wollten, die ihre Sprache nicht sprach. Der Bankier seufzte über die verpasste Gelegenheit, und Olivia schmollte demonstrativ. Wir hatten alle unsere Rollen zu spielen.
    Senhor Rodrigues ließ sich anstecken und sagte: »Auf das Wohl von Olivia Coelho, die all das möglich gemacht hat.«
    Wir tranken erneut, und Olivia drückte ein rotes »O« auf meine neue weiße Wange.
    »Nur noch eine Sache«, sagte ich in die dicht gedrängte Runde, »wer hat die Waage manipuliert?«
    Zwei Sekunden lang herrschte frostiges Schweigen, dann lächelte ich, ein Glas ging zu Bruch, und der Frisör überreichte mir eine Plastiktüte.
    »Deine Bartschnipsel«, meinte er. »Ein 2-Kilo-Bett für deine Katze.«
    »Komm mir jetzt nicht damit.«
    »Was darin gelebt hat, muss schwer gewogen haben«, sagte der Bürgermeister, und alle starrten ihn an. Verlegen fummelte er an seinem Mikrofon herum. António stellte drei weitere Bier auf die Theke. Olivia und ich sahen uns an.
    »Ich persönlich«, sagte ich leise zu ihr, »ich persönlich glaube, es war die ganze Vergangenheit, die darin verwickelt war.«
    Sie befeuchtete ihren Finger und wischte den Lippenstift von meiner Wange, in ihren Augen standen Tränen.
    »Du hast Recht«, meinte António, der plötzlich zwischen uns auftauchte, »die Geschichte ist ein Gewicht, und ein totes dazu … habe ich nicht Recht, Senhor Rodrigues?«
    Senhor Rodrigues rülpste, an proletarische Getränke nicht gewöhnt, höflich in seine Hand.
    »Die Geschichte wiederholt sich«, sagte er, und sogar António lachte – der Kommunist, der das Fleisch eines Kapitalistenschweins riechen konnte, selbst wenn es im Alentejo geröstet wurde.
    »Sie haben Recht«, sagte er jetzt. »Die Geschichte ist lediglich eine Last für die, die sie gelebt haben. Für die nächste Generation ist sie nicht schwerer als ein paar Schulbücher und über einem Glas Bier und der neuesten CD schnell vergessen.«
    »Ach, António«, sagte ich, »trink auch ein Bier. Es ist Freitagabend. Morgen ist dein Namenstag, die Armen von Paço de Arcos sind um sechs Millionen Escudos reicher, und ich trinke wieder. Die neue Geschichte.«
    António lächelte und sagte: »Auf die Zukunft.«
    An diesem Abend sind wir alle zusammen essen gegangen, sogar Senhor Rodrigues, der möglicherweise keine Metalltische und -stühle gewöhnt war, das Essen jedoch sehr genoss. Es war das Mahl, nach dem mein Magen sechs Monate lang geknurrt hatte. Amèijoas à bulhão pato , Muscheln in Weißwein, Knoblauch und frischem Koriander, robalo grelhado , gegrillter Seebarsch, am Morgen frisch gefangen vor den Klippen bei Cabo da Roca, borrego assado , Alentejo-Lamm, das so lange

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