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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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erst einmal auf der Autobahn sind …«
    »Wir fahren erst noch ein paar Tage runter nach Gstaad. Er mag die Bergluft und … anderes …«
    »Ach ja?«
    »Wenn sie von zu Hause weg sind, spielen sie immer gern … sogar Himmler, und man sollte nicht glauben, dass irgendwer mit dem spielen will. Macht«, sagte der Fahrer, »kommt bei den Damen ganz groß an, das sage ich Ihnen.«
    Felsen trank sein Bier aus und ging zurück zum Hotel Schweizerhof. Lehrer war immer noch auf seinem Zimmer. Felsen setzte sich in die Bar, bis er ihn am Empfang vorbei hinaus in die Dunkelheit eilen sah. Felsen beschloss, ein wenig eigene Aufklärung zu betreiben, anstatt sich die Informationen portionsweise von Lehrer servieren zu lassen, und ging ihm nach. Es waren kaum Menschen unterwegs, sodass es nicht schwer war, ihm über die dunklen Bürgersteige entlang der überhängenden grünen Sandsteinhäuser zu folgen. Schließlich bog Lehrer in eine Straße ein, und als Felsen die Ecke erreichte, sah er an einer Fassade in roter Leuchtschrift den Namen Ruthli . Er kam sich idiotisch vor. Dass Lehrer eine Freundin in Bern hatte, war bedeutungslos. Doch die Neugier trieb ihn weiter.
    Er betrat den Klub, gab Hut und Mantel ab und setzte sich an einen Tisch im Dunkeln. Ein dicker Mann mit schwarzem pomadisiertem Haar saß am Klavier und begleitete ein Mädchen mit einer langen roten Perücke, die im Scheinwerferlicht stand und irgendetwas auf Schweizerdeutsch sang. Felsen bestellte einen Cognac. Lehrer sah er nicht. Der Cognac kam, und kurz darauf setzte sich ein Mädchen zu ihm. Sie unterhielten sich auf Französisch. Mit der Zeit gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, und er entdeckte Lehrer an einem Tisch nahe der Bühne, zusammen mit einer Frau, die von seinen breiten Schultern verdeckt wurde.
    Der Klub füllte sich. Das Mädchen bat ihn, ihr etwas zu trinken zu bestellen. Ihr Getränk kam in einem Eiskübel. Sie war sehr jung und für seinen Geschmack zu dünn. Sie rutschte mit ihrem Drink näher an ihn heran und nahm sich eine seiner Zigaretten. Das Mädchen mit der roten Perücke schlich sich mit ihrem traurigen Lied und dem fetten Klavierspieler von der Bühne. Es folgte ein Trommelwirbel, und Scheinwerfer schwenkten über das Publikum. Einer strahlte Lehrers Begleiterin direkt an. Sie schloss die Augen und wandte den Kopf ab, aber nicht schnell genug. Felsen schoss von seinem Platz hoch und kippte das Glas des Mädchens um. Becken krachten, das Publikum versank wieder in der Dunkelheit, und die Scheinwerfer richteten sich auf den roten Bühnenvorhang, der sich für einen Mann in Frack und Zylinder teilte. Doch was Felsen gesehen hatte, war unzweifelhaft. Das weiße Gesicht im Scheinwerferlicht war das von Eva Brücke gewesen.

4
    Freitag, 12. Juni 199–,
    Paço de Arcos bei Lissabon
     
    »Meine Damen und Herren«, sagte der Bürgermeister von Paço de Arcos, »darf ich Ihnen Inspektor José Afonso Coelho vorstellen.«
    Es war ein heißer Tag mit einem strahlend blauen Himmel gewesen, und nun wehte zum ersten Mal eine sanfte Brise vom Ozean herüber und raschelte durch Pappeln und Pfefferbäume im Stadtpark. Das blasse Rosa der Mauern des leer stehenden Kinos saugte das Abendlicht auf, ein kleines Mädchen wippte glücklich kreischend auf einem Dinosaurier, neben ihr stand ein dicker Mann, rauchte und trank durstig von seinem Bier, Frauen begrüßten sich mit Küssen, ihre Kleider bauschten sich im Wind. Auf der Avenida Marginal rauschten Autos, ein kleines Flugzeug tuckerte über die Sandbank Richtung Meer. Es roch nach gegrillten Sardinen.
    »Zé Coelho«, sagte der Bürgermeister in ein Mikrofon, meinen bekannteren Namen benutzend, ohne damit bei den Besuchern der Festa de Santo António , unter ihnen meine sechzehnjährige Tochter Olivia, meine Schwester, mein Schwager und vier ihrer sieben Kinder, größeres Interesse zu wecken.
    Der Bürgermeister fuhr in verschnörkelten Worten fort, einem unerschütterlich unaufmerksamen Publikum, das in der Hauptsache aus meinen Nachbarn bestand, zu erklären, was ohnehin allgemein bekannt war: Meine Frau war vor einem Jahr gestorben, ich hatte zugenommen, und um mich beim Abspecken zu unterstützen, hatte meine Tochter diese Wohltätigkeitsaktion organisiert, bei der für jedes verlorene Kilo Geld gespendet wurde, und wenn ich nur ein einziges Gramm mehr als achtzig Kilo wiegen würde, sollte mir vor den Augen dieses Pöbels auch noch mein perfekter, sorgfältig gestutzter, zwanzig

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