Tod in Lissabon
ausschließlich Männer in dunklen Anzügen. Die beiden teilten sich vier Stubenküken und ein Kartoffelgratin boulangère . Lehrer drehte den Stiel eines Glases Gewürztraminer zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Es ist wirklich schön, das Elsass wieder im Schoß des Reiches zu wissen, finden Sie nicht auch? Eine fantastische Landschaft und großartiger Wein. Das Fleisch wird vermutlich fast einen Hauch zu zart sein, wir hätten Gans oder Schwein bestellen sollen, herzhafte Elsässer Küche. Trotzdem … die Früchte des Sommers im tiefsten Winter. Auf Ihr Wohl.«
»Hatten Sie ein besonders erfolgreiches Treffen, Herr Gruppenführer?«
»Was halten Sie von dem Gewürztraminer?«
»Nun, sehr würzig.«
»Ich bin sicher, das können Sie besser. Man hat mir jedenfalls erzählt, dass Sie die guten Dinge des Lebens zu schätzen wüssten.«
»Sehr fruchtig, aber klar und trocken. Gehaltvoll bis zum letzten Schluck mit einem Abgang, lang wie eine Fahrt über den Atlantik.«
»Woher haben Sie denn das?«, fragte Lehrer lachend.
»Stimmt es nicht?«
»Doch, doch … aber nicht so langweilig und so gefährlich wie eine Fahrt über den Atlantik«, sagte Lehrer. »Ich denke, danach sollten wir uns eine himmlische brioche genehmigen.«
Sie aßen die Stubenküken und tranken zwei Flaschen Gewürztraminer. Das Restaurant leerte sich. Sie verputzten die brioche und gönnten sich dazu eine halbe Falsche Sauternes. Dann bestellten sie Kaffee und Cognac, saßen im schwächer werdenden Licht des späten Nachmittags und rauchten Zigarren. Das Personal ließ sie mit der Flasche allein und zog sich zurück. Die beiden waren gelöster Stimmung. Lehrer ließ die Hand mit seiner Zigarre von der Lehne baumeln, Felsen hatte die Beine weit gespreizt und stützte sich mit den Füßen an den Tischbeinen ab. »Ein Mann«, sagte Lehrer, zu einer kleinen Predigt anhebend, und wies mit der Zigarre auf Felsen, »muss die wichtigen Fragen im Leben immer mit sich alleine ausmachen.«
»Was sind denn die wichtigen Fragen im Leben eines Mannes?«, fragte Felsen und leckte sich die Lippen.
»Die Frage, wo er sein will, natürlich … in der Zukunft.« Nach Worten suchend wedelte Lehrer mit der Hand durch die Luft. »Ich meine, auf dem Weg dahin muss man seine persönliche Aufklärung betreiben und vielleicht auch andere nach ihrer Meinung fragen, aber wenn man seinen Platz in der Welt festlegt, dann ist das eine private, eine geheime Sache … und wenn man ein Mann sein will, ein Mann, der etwas bewegt, muss man diese Fragen mit sich alleine ausmachen.«
»Ist das die Einleitung zu einem Essay mit dem Titel ›Wie man SS-Gruppenführer wird‹?«
Lehrer winkte ab. »Das ist lediglich mein Rang. Ein Insignium meines erfolgreichen Nachdenkens, aber nicht das letzte Ziel. Ich will Ihnen ein kleines Beispiel geben. Sie haben mich in jener Nacht beim Pokern besiegt, weil Ihr ultimatives Ziel größer war als meins. Der Adjutant hat Ihnen geraten zu verlieren, weil ich gerne gewinne. Sie wollten in Berlin bleiben … also haben Sie gewonnen. Wie Sie mir gestern Abend aufgezeigt haben, war meine Aufklärung nicht ausreichend.«
»Aber Sie haben doch gewonnen. Ich bin hier. Sie haben ein bisschen Geld verloren, mehr nicht.«
Lehrer grinste breit, seine Augen glänzten von Alkohol, seiner Erheiterung und seinem Triumphgefühl.
»Vielleicht fragen Sie sich jetzt, warum mir so viel an Ihnen liegt«, sagte er. »Tun Sie es nicht. Mein ultimatives Ziel sollte Sie nicht weiter kümmern.«
Bis auf die Tatsache, dass ich eine Rolle darin spiele, dachte Felsen, sagte jedoch: »Vielleicht sollte ich auch ein ultimatives Ziel haben.«
»Meine Rede«, sagte Lehrer und zuckte mit seinen massigen Schultern.
»Der Russlandfeldzug …«, begann Felsen, doch Lehrer hob die Hand.
»Sie werden nach und nach Ihre eigene Aufklärung bekommen«, sagte er. »Aber zunächst will ich Sie etwas fragen. Was ist im vergangenen Sommer am Himmel über England passiert?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob man im Völkischen Beobachter oder im 12-Uhr-Blatt die reine Wahrheit gelesen hat.«
»Nun, die reine Wahrheit ist die«, flüsterte Lehrer in seinen Cognac und beugte sich vor, »dass wir eine große Luftschlacht verloren haben. Göring wird Ihnen etwas anderes erzählen. Göring hat mir etwas anderes erzählt, aber wir wissen ja alle, dass er gern ein wenig von der Realität abgehoben lebt …«
»Verzeihung, Herr Gruppenführer?«
»Nichts«, sagte Lehrer und richtete
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