Tod in Lissabon
gekocht wird, bis es zerfällt. Dazu Rotwein aus Borba. Und Kaffee, so stark wie der Kuss einer Mulattin. Und zum Schluss aguardente amarela , der feurige Gelbe.
Als wir beim aguardente angekommen waren, machte sich Senhor Rodrigues auf den Heimweg zu seinem Haus in Cascais. Wenig später fuhr Olivia mit einem Schwarm Freundinnen zu einem Klub in Cascais. Ich gab ihr Geld für das Taxi nach Hause. Dann trank ich zwei weitere amarelinhas und ging mit einem Liter Wasser auf dem Nachttisch ins Bett. Das Kissen fühlte sich weich und kühl an auf meinen nackten, brennenden Wangen.
In der Nacht wachte ich kurz benommen auf und kam mir so groß und massiv vor wie die tragende Säule einer Autobahnbrücke. Ich hatte wild geträumt, doch nur ein Bild war haften geblieben – eine Klippe in der Dunkelheit, irgendwo ganz in der Nähe der Abgrund, unten das brüllende Meer, die salzige Gischt brandete von den Felsen hoch. Furcht, Sorge und Erregung stiegen in mir auf, und ich schlief wieder ein.
Ungefähr zur selben Zeit drückte ein Mädchen eine Mulde in den Sand, nur wenige hundert Meter von meinem Schlafplatz entfernt. Die Augen weit aufgerissen, badete sie in sternklarer Nacht im Mondlicht, das Blut geronnen, die Haut kalt und fest wie ein frischer Tunfisch.
5
Samstag, der 13. Juni 199–,
Faço de Arcos hei Lissabon
Teller zerschellten auf einem Marmorboden. Teller zerschellten scheppernd und endlos klirrend auf dem Marmorboden. Ich tauchte auf in den brutalen Lärm und ein in die grausamste aller Realitäten: ein Telefon, das um sechs Uhr morgens gegen einen Kater anschrillt. Ich riss den Hörer ans Ohr. Selige Ruhe und das Rauschen eines Handys. Jaime Leal Narciso, engenheiro – Diplomingenieur – und mein Chef bei der Polícia Judiciária, wünschte mir einen guten Morgen, und ich versuchte, genug Feuchtigkeit in meinem Mund zu sammeln, um seinen Gruß zu erwidern.
»Zé?«, fragte er.
»Ja, ich bin’s«, sagte ich, doch es kam nur ein Flüstern heraus, als würde ich neben seiner Frau im Bett liegen.
»Dann geht’s dir also gut«, sagte er, wartete jedoch nicht auf meine Antwort. »Pass auf, man hat am Strand von Paço de Arcos die Leiche eines jungen Mädchens gefunden, und ich möchte …« Die Worte katapultierten mich aus dem Bett, der Hörer fiel mir aus der Hand, ich prallte gegen den Türrahmen, polterte den abgetretenen Teppich im Flur hinunter und riss die Tür auf. Ihre Kleider bildeten eine Spur von der Tür bis zum Bett – klobige Schuhe mit dicken Absätzen, schwarzes Seiden-Top, ein violettes Hemd, schwarzer BH, schwarze Schlaghose. Olivia lag, das Gesicht nach unten, in ihr Laken gewickelt, die nackten Arme vom Körper abgespreizt, ihr schwarzes Haar, weich und glänzend wie Zobel, auf dem Kopfkissen, Im Bad trank ich, bis mein Bauch spannte, bevor ich in mein Zimmer zurückging, den Hörer aufhob und mich wieder ins Bett legte.
»Bom dia, Senhor Engenheiro« , begrüßte ich ihn erneut, diesmal wie üblich mit vollem akademischem Titel.
»Wenn Sie mir zwei Sekunden Zeit gelassen hätten, hätte ich Ihnen gesagt, dass sie blond ist.«
»Ich hätte gestern Nacht nachsehen sollen, aber …« Ich hielt inne, Synapsen kollidierten schmerzhaft, »warum rufen Sie mich um sechs Uhr morgens an, um mir von einer Leiche am Strand zu erzählen? Wenn Sie sich an den Dienstplan erinnern wollen, werden Sie feststellen, dass ich frei habe.«
»Nun, die Sache ist die: Sie sind zweihundert Meter vom Fundort entfernt, während Abílio, der Dienst hat, in Seixal wohnt, was, wie Sie wissen … Es wäre …«
»Ich bin nicht in der Verfassung«, sagte ich, mein Gehirn nach wie vor weich wie Pudding.
»Ah ja, das habe ich ganz vergessen. Wie war’s? Wie fühlen Sie sich?«
»Kühler um die Wangen.«
»Gut.«
»Zerbrechlicher im Kopf.«
»Es soll heute bis zu vierzig Grad heiß werden«, sagte er, ohne mir zuzuhören.
»Wo sind Sie?«
»An meinem Handy.«
Gute Antwort.
»Ich habe auch eine gute Nachricht für Sie, Zé«, sagte er rasch. »Ich schicke Ihnen einen agente zur Hilfe.«
»Wer soll das sein?«
»Ein junger Bursche. Sehr eifrig. Gut für die Laufarbeit.«
»Wessen Sohn ist er?«
»Ich habe Sie nicht verstanden?«
»Sie wissen, dass ich niemandem auf die Füße treten will.«
»Die Verbindung wird schlechter«, rief er. »Hören Sie, er ist sehr kompetent, braucht jedoch noch ein bisschen Erfahrung. Ich wüsste keinen Besseren.«
»Heißt das, dass ihn sonst niemand haben
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