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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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ihn, ob er lieber selbst mit ihr sprechen wolle. Er antwortete, er überlasse es mir. Wir gingen zurück ins Wohnzimmer, wo Senhora Oliveira sich angeregt mit Carlos unterhielt. Sie saß seitlich auf dem Sofa, und ihr Rock war ein gutes Stück hochgerutscht. Carlos saß so steif da wie sein Haar. Als wir hereinkamen, erstarrte sie. Ihr Mann nahm neben ihr Platz.
    »Heute Morgen um Viertel vor sechs, Dona Oliveira«, begann ich, und ihre Augen hingen entsetzt an meinen Lippen, »wurde am Strand von Paço de Arcos die Leiche Ihrer Tochter Catarina Oliveira gefunden. Es tut mir sehr Leid.«
    Sie sagte nichts, sondern starrte mich nur eindringlich an. Ihr Mann nahm ihre Hand, doch sie entzog sich seinem Griff gedankenverloren.
    »Agente Carlos Pinto und ich untersuchen den Tod Ihrer Tochter.«
    »Ihren Tod?«, sagte sie und stieß ein entsetztes Lachen aus.
    »Unser tief empfundenes Beileid. Ich möchte mich dafür entschuldigen, es Ihnen nicht früher gesagt zu haben, doch ich musste Ihnen gewisse Fragen stellen, deren Beantwortung einen klaren Verstand erfordert.«
    Ihr Mann versuchte noch einmal, ihre Hand zu ergreifen. Dieses Mal ließ sie ihn, Sie saß da, als hätten meine Worte sie wie eine Lanze durchbohrt.
    »Wir glauben, dass sie an einem anderen Ort ermordet und dann erst zum Strand von Paço de Arcos gebracht wurde.«
    »Catarina ist ermordet worden?«, fragte sie ungläubig, als ob so etwas nur den Bösen im Fernsehen passierte. Benommen sank sie aufs Sofa zurück und versuchte vergeblich zu schlucken. Ich erkannte, dass wir heute nicht mehr weiterkommen würden. Wir verabschiedeten uns und gingen. Als wir am Gartentor waren, hörten wir einen lauten, lang gezogenen Schrei aus dem Haus.
    »Ich bin nicht sicher, dass ich das alles begriffen habe«, sagte Carlos.
    »Es war … sehr enttäuschend.«
    »Ich fand es …«
    »Es war sehr enttäuschend für jemanden von Ihrer Jugend und Ihrem Optimismus, Zeuge derartigen Verhaltens zu werden.«
    »Warum mussten wir überhaupt von dieser Affäre mit dem Bruder oder dem Liebhaber erfahren? Was für ein Spiel hat Dr. Oliveira damit gespielt?«
    »Das war das Enttäuschende«, sagte ich. »Er hat uns benutzt … Er hat unsere Untersuchung des Mordes an seiner Tochter benutzt, um seine Frau für ihre Untreue zu bestrafen. Was wir gerade gesehen haben, war eine Demütigung erster Klasse. Jetzt haben Sie ein Beispiel für die Intelligenz des Anwalts.«
    »Aber die Frau«, sagte Carlos erregt, »die Frau … als Sie den Raum verlassen hatten, hat sie nicht eine Frage über das Verschwinden ihrer Tochter gestellt. Keine einzige. Sie hat geplaudert. Sie hat mich nach den blöden Bildern gefragt, wie lange ich schon bei der Polícia Judiciária bin, ob ich in Cascais wohne …«
    »Tja, die beiden waren schon ein interessantes Pärchen. Zunächst einmal stand das Foto von Dr. Oliveiras erster Familie auf dem Schreibtisch, während Catarina auf ein Bücherregal mit ein paar eselsohrigen Taschenbüchern verbannt war. Zweitens haben sie beide braune Augen.«
    »Das ist mir nicht aufgefallen«, sagte er und schrieb es in sein Notizbuch.
    »Braun plus Braun ergibt selten Blau, und Catarina Oliveira hatte blaue Augen.«

8
    2. März 1941,
    Südwestfrankreich
     
    Es war ein perfekter Morgen, der erste perfekte Morgen seit Tagen. Der Himmel war jungfräulich, wolkenlos und so blau, dass das Hinsehen beinahe schmerzte. Im Süden fingen die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen die ersten Strahlen der Sonne ein, und die stechend kalte Gebirgsluft ließ die Konturen der weißen Zinnen vor dem tiefblauen Himmel noch deutlicher hervortreten. Die beiden Schweizer, die Felsen fuhren, schwärmten ununterbrochen davon. Sie stammten aus dem Süden, sprachen Italienisch und kannten die Berge, aber nur die Alpen.
    Mit Felsen redeten sie nicht, es sei denn, er sprach sie direkt an, was nur selten geschah. Sie fanden ihn kalt, distanziert, barsch und manchmal sogar brutal. Wenn er im Fahrerhäuschen kurz einschlief, hörten sie ihn mit den Zähnen knirschen und sahen seine Kiefermuskeln mahlen und zucken. Sie nannten ihn den »Knochenbrecher«, wenn er in sicherer Entfernung war, mehr Risiko gingen sie nicht ein, nicht nachdem sie mit angesehen hatten, wie er einen Fahrer mit Tritten malträtiert hatte, der versehentlich rückwärts gegen einen Torpfosten der Kaserne vor den Toren Lyons gefahren war. Schließlich waren sie italienische Schweizer.
    Felsen hatte das gar nicht bemerkt. Und es wäre

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