Tod in Lissabon
Kälte nörgelten, verstummen. Als die LKWs an den Menschen vorbeipolterten, wandte niemand den Kopf. Die Juden Europas trotteten mit ihren Pappkoffern und Bündeln durch die karge Wildnis Spaniens und sahen nur die nächste windzerzauste Eiche am Horizont.
Felsen blickte aus dem Führerhaus auf sie herab und erwartete, Mitleid zu empfinden wie für die beiden Männer aus Sachsenhausen, die in seiner Fabrik die Böden geschrubbt hatten. Doch er spürte nichts. Er stellte fest, dass er für nichts anderes mehr Platz hatte.
Sie fuhren durch Salamanca. Die goldenen Steine der Kathedrale und der Universität schimmerten matt unter der weißen Kuppel des eisigen Himmels. Es gab kein Benzin. Die Fahrer konnten immerhin ein wenig chouriço , eine fette Paprikawurst, und von Getreidekäfern angenagtes Brot besorgen. Der Konvoi setzte sich wieder in Bewegung, erreichte Ciudad Rodrigo und schließlich die Grenzstadt Fuentes de Onoro. Die spanische Armee-Eskorte drangsalierte die Flüchtlinge, die unaufgefordert die Straße räumten und sich auf ein angrenzendes karges, felsiges Feld zurückzogen.
Fuentes de Onoro bestand aus zwanzig weiß getünchten Hütten an einem baumlosen Felshang. Ein eisiger Wind ließ die Bewohner in ihren Häusern ausharren, während die Flüchtlinge Schutz hinter Felsen und umgestürzten Karren suchten. Die Fahrer tappten auf der Suche nach Essbarem zwischen ihnen umher, stellten jedoch fest, dass die Flüchtlinge noch schlimmer dran waren als sie selbst. In dem einzigen Laden im Ort bot eine Frau Brocken von Schweinefett in ranzigem Öl an. Sie tauften das Gericht Gordura alla moda delia guerra – Fett nach Art des Krieges – und rührten es nicht an.
Die Zollformalitäten auf der spanischen Seite waren kurz. Die Beamten ließen von der wenig lukrativen Arbeit ab, Papiere und die wenigen verbliebenen Habseligkeiten der verängstigten Flüchtlinge zu inspizieren, und kamen, um ihre Prämien zu kassieren. Felsen, der wusste, dass er über diesen Grenzposten einen Großteil seiner Geschäfte abwickeln würde, hatte sich für den Grenzübertritt mit französischem Cognac und jambon de Bayonne – Bayonner Schinken – ausgerüstet. Seine Fahrer waren stinkwütend. Der Handel wurde mit ein paar Gläschen billigem aguardente besiegelt, und der Konvoi fuhr auf die portugiesische Seite nach Vilar Formoso weiter.
Die Eskorte der portugiesischen Armee war noch nicht eingetroffen, doch sie wurden von einem Mitglied der deutschen Gesandtschaft erwartet, das bereits einen Boten nach Guarda ausgeschickt hatte. Die Fahrer wurden angewiesen, die LKWs auf dem Bahnhofsvorplatz abzustellen, auf dem sich Flüchtlinge verschiedenster Nationen drängten.
Felsen bearbeitete die Zollbeamten mit Charme und Gaben, die das Mitglied der deutschen Gesandtschaft mitgebracht hatte. Die Portugiesen revanchierten sich mit Käse, chouriço und Wein und waren auch mit den Stapeln von Formularen gerne behilflich, die ausgefüllt werden mussten, damit die LKWs sich frei im Land bewegen konnten. Als der Konvoi sich schließlich in Bewegung setzte, kam der chefe der alfángeda , der oberste Zollbeamte, auf die Straße, winkte und wünschte eine baldige Rückkehr, weil er erkannte, dass dies der verheißungsvolle Beginn jahrelanger lukrativer Geschäftsbeziehungen war.
Sie überquerten den Rio Côa und übernachteten in einem Armeeposten in Guarda, wo sie ein riesiges Mahl verzehrten, dessen vier Gänge alle gleich schmeckten, und dazu eine Menge Wein aus Fünf-Liter-Flaschen tranken. Felsen hatte bereits gespürt, dass er langsam auf dem Weg der Besserung war, weil es ihn wieder interessierte, einen Blick auf die Frauen in der Küche zu werfen. Seit seinem Umzug nach Berlin hatte er selten länger als achtundvierzig Stunden ohne Sex auskommen müssen, und jetzt war es schon mehr als eine Woche. Als er die Frauen schließlich sah, hoffte er, dass sie speziell ausgewählt worden waren, um die Leidenschaft der Soldaten in Schach zu halten. Sie waren winzig, zwischen ihren dunklen Brauen und ihren Kopftüchern war kaum ein Zentimeter Stirn sichtbar. Alle hatten sie spitze Nasen, eingefallene Wangen und nur noch wenige oder verfaulte Zähne. Er ging zu Bett und schlief schlecht auf einer Matratze voller Flöhe.
Am Morgen umfuhren sie die Berge der Serra da Estrela mit ihren dichten Kiefernwäldern und Geröllfeldern entlang der Beira Baixa, die, wie Felsen wusste, für die nächsten Jahre seine Heimat werden würde. Wo Schiefer und
Weitere Kostenlose Bücher