Tod in Lissabon
Ermittlungen in einem Mordfall aufnimmt, indem man fünfundzwanzig Jahre zurückgeht …«
»Es war bloß Gerede. Er hat sich als Liberaler ausgegeben. Ich glaube ihm nicht … und das ist einer der Gründe, warum.«
»Menschen wie er sind zu intelligent, um an irgendetwas zu glauben. Sie ändern …«
»Das glaube ich nicht. Nicht mehr so spät im Leben. Mein Vater ist achtundvierzig, er kann sich nicht mehr ändern, und jetzt zählt er zusammen mit all seinen Rohren zum alten Eisen, Ausschuss.«
»Machen Sie sich keine zu starren Vorstellungen von den Menschen, Agente Pinto. Das trübt den Blick. Und Sie wollen doch nicht jemanden lebenslang hinter Gitter bringen, bloß weil er Ihnen politisch nicht passt, oder?«
»Nein«, sagte Carlos unschuldig, »das wäre ungerecht.«
7
Samstag, 13. Juni 199–,
Dr. Aquilino Oliveiras Haus, Cascais
Wir wurden ins Wohnzimmer geführt, das, dem Mobiliar nach zu urteilen, nicht auf Dr. Oliveiras Seite des Hauses lag. Der Raum wurde nicht von dunklen Bücherregalen, sondern von natürlichem Licht und edler Keramik bestimmt. Die Kunst an den Wänden war von der Art, die einen Kommentar verlangte, wenn man nicht zufällig ein Polizeiinspektor aus Lissabon war, dessen Meinung nicht zählte. Ich setzte mich auf eines von zwei karamellfarbenen Ledersofas. Über dem Kamin hing das hinter groben Pinselstrichen schwer auszumachende Porträt einer skelettartigen Gestalt auf einem Sessel. Es war irritierend. Man musste gestört sein, wenn man sich so was über den Kamin hängte.
Unter der dicken Glasplatte des Couchtisches präsentierte sich Senhora Oliveiras menschlichere Seite: Zeitschriften wie Caras, Casa, Máxima und die spanische ¡Hola! . Es gab auch Grünpflanzen sowie einen kunstvoll arrangierten Lilienstrauß, doch gerade als sich das Auge entspannte, erblickte es eine dunkle Metallskulptur, die sich aus dem Urschleim zu erheben schien, oder einen Kopf aus Terrakotta, der mit weit aufgerissenem Mund zur Decke schrie. Am sichersten ruhte der Blick noch auf Boden, Parkett und Perser.
Dr. Oliveira führte seine Frau herein. Sie war ungefähr genauso groß wie ihre Tochter, doch ihre Frisur, blond und üppig auftoupiert, ließ sie gut zehn Zentimeter größer erscheinen. Ihr gebräuntes, vom Schlaf noch verquollenes Gesicht wirkte trotz des dick aufgetragenen Make-ups angespannt. Ihre Lippen waren rosa und dunkel umrandet. Sie trug eine crèmefarbene Bluse, einen Wonderbra und einen kurzen Seidenrock, der vom Farbton her nicht ganz zu ihrer Bluse passte. Um die Hüfte hatte sie sich eine goldene Kette geschlungen. Wir gaben uns die Hand.
»Wir würden gern mit Ihrer Frau allein sprechen, Senhor Doutor.«
Bevor er sich darüber aufregen konnte, fiel sein Blick auf seine Frau, und er verließ das Zimmer. Carlos zückte ein Notizbuch.
»Wann haben Sie Ihre Tochter zuletzt gesehen, Dona Oliveira?«
»Gestern Morgen. Ich habe sie zur Schule gebracht.«
»Was hatte sie an?«
»Ein weißes T-Shirt und einen hellblauen Minirock mit gelbem Karo. Diese großen klobigen Schuhe, die heutzutage alle tragen, mit Strasssteinen. Außerdem trug sie ein dünnes Lederband mit einem billigen Stein um den Hals.«
»Keine Strumpfhose bei dem Wetter?«
»Nein, bloß Slip und BH.«
»Eine bestimmte Marke?«
Sie antwortete nicht, sondern kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in die Unterlippe.
»Haben Sie meine Frage gehört, Dona Oliveira?«
»Ich habe bloß …«
Carlos beugte sich vor, das Sofa quietschte, und er hielt mitten in der Bewegung inne. Senhora Oliveira blinzelte und schlug ihre braunen Augen wieder auf.
»Sloggi«, sagte sie.
»Ist Ihnen gestern noch etwas aufgefallen, Dona Oliveira?«
»Ein schrecklicher Gedanke … als Sie nach der Unterwäsche gefragt haben.«
»Ihr Mann hat uns bereits erzählt, dass Catarina schon seit einigen Jahren sexuell aktiv ist.«
Carlos lehnte sich zurück. Sie tupfte mit dem Finger auf ihre verschmierte Unterlippe.
»Dona Oliveira?«
»Haben Sie mich etwas gefragt, Inspektor Coelho?«
»Ich habe mich gefragt, ob Sie uns vielleicht erzählen möchten, was Sie bewegt. Möglicherweise hilft es weiter.«
»Jede Mutter hat Angst, dass ihre Tochter vergewaltigt und ermordet wird«, sagte sie automatisch, als hätte sie an etwas anderes gedacht.
»Wie haben Sie sich in den letzten Jahren mit Ihrer Tochter verstanden?«
»Er hat Ihnen erzählt …«, setzte sie an und bremste sich dann.
»Was genau?«, fragte ich.
Sie warf einen
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