Tod in Lissabon
Granit aufeinander stießen, gab es schwarzes, glänzendes, kristallartiges Wolfram, und an den graubraunen Natursteinhäusern und Schieferdächern erkannte er, dass er in der richtigen Gegend war.
Sie überquerten den Rio Mondego und den Rio Dão und fuhren südlich nach Coimbra und Leiria. Die Luft veränderte sich. Die trockene Kälte des Gebirges wich einer warmen Feuchtigkeit. Selbst im März brannte die Sonne schon heiß, und sie zogen ihre Mäntel aus. Die Fahrer krempelten ihre Ärmel auf und sahen aus, als wollten sie anfangen zu singen. Auf der Straße waren kaum Flüchtlinge. Der Vertreter der deutschen Gesandtschaft erklärte ihnen, dass Salazar dafür sorgte, dass keine weiteren Flüchtlinge nach Lissabon kamen – die Stadt war bereits voll. In Vila Franca de Xira verbrachten sie eine letzte Nacht auf der Straße und standen am nächsten Morgen früh auf, um das Gold noch vor der offiziellen Geschäftszeit bei der Banco de Portugal abzuliefern.
Im ersten Licht des Tages verließen sie das Ufer des Tejo und fuhren auf den Terreiro do Paço, bevor die LKWs hinter Arkaden und Fassaden aus dem 18. Jahrhundert in das Straßengitternetz der Baixa eintauchten, die der Marquês de Pombal nach dem Erdbeben von 1755 angelegt hatte. Sie fuhren die Rua do Comércio hinter dem riesigen Triumphbogen am Anfang der Rua Augusta hinunter zu einer Gruppe von Gebäuden, darunter die Kirche São Julião, Sitz der Banco de Portugal. Die Tore zum Largo de São Julião wurden geöffnet, und die LKWs fuhren nacheinander rückwärts auf den Hof, wo sie entladen wurden.
In der Bank wurde Felsen von einem Finanzdirektor sowie einem weiteren höherrangigen Mitglied der deutschen Gesandtschaft begrüßt. Statt Felsens dargebotene Hand zu ergreifen, riss der Mann zum Gruß den Arm hoch und brüllte ein unpassendes »Heil Hitler«. Den Direktor der Bank, Mitglied der portugiesischen Legion, wie Felsen später erfahren sollte, schien das nicht groß zu stören, doch Felsen war so verwirrt, dass er den Gruß nur lasch erwiderte, den Arm hob, als wollte er einen Kellner herbeiwinken, und dazu »Ja, ja« murmelte. Dabei verpasste er auch den Namen des großen, preußisch aussehenden Mannes. Erst als dieser den Erhalt des entladenen Goldes auf endlosen Formularen mit der linken Hand quittierte, las Felsen seinen Namen: Fritz Poser. Er bemerkte, dass Poser rechts eine Prothese unter einem Handschuh trug.
Um elf Uhr war die Transaktion erledigt. Felsen und Poser nahmen auf der Rückbank eines Mercedes mit Standarten Platz und fuhren die Rua do Ouro zum Fluss hinunter. Die Gehsteige waren voller Menschen. Männer in dunklen Anzügen, weißen Hemden, dunklen Krawatten und Hüten, die zu klein für ihre Köpfe waren, wichen barfüßigen Zeitungsjungen aus. Die wenigen Frauen wirkten schick, sie trugen Tweed-Kostüme und pelzbesetzte Hüte, obwohl es nicht kalt war. Ihre Gesichter flogen vorbei, als der Wagen auf der leeren Straße beschleunigte. Eine blonde Frau ohne Hut starrte ihm und dem flatternden Hakenkreuzwimpel wie gebannt nach, bevor sie unvermittelt den Kopf abwandte und in der Menge untertauchte. Felsen drehte sich um. Neben dem Wagen lief ein Junge und wedelte mit dem Diário de Notícias.
»Lissabon ist voll«, sagte Poser. »Als ob die ganze Welt hier wäre.«
»Ich habe sie an der Grenze gesehen.«
»Die Juden?«
Felsen nickte, nach der Anspannung der Reise plötzlich müde.
»Hier unten gibt es eine erlesenere Mischung. In Lissabon ist für jeden Geschmack etwas dabei. Für manche ist es eine einzige lange Ballnacht.«
»Es gibt also keine Rationierungen.«
»Noch nicht und für uns sowieso nicht. Aber das wird kommen. Die Briten bauen eine Wirtschaftsblockade auf, und die Portugiesen fangen an, darunter zu leiden. Treibstoff könnte zum Problem werden, sie haben keine eigenen Tanker, und die Amerikaner machen Schwierigkeiten. Aber natürlich kann man hier gut essen, wenn man Meeresfrüchte mag, und den Wein genießen, wenn der Gaumen nicht zu französisch ist. Im Augenblick gibt es auch noch Zucker, und der Kaffee ist gut.«
Am Praça do Comercio bogen sie rechts ab und fuhren an den Werften am Ufer des Tejo entlang. Bei Santos drängte sich eine riesige Menschenmenge: Männer, Frauen und Kinder balgten sich vor den Büros der Reedereien.
»Das ist die unappetitlichere Seite von Lissabon«, sagte Poser. »Sehen Sie die Nyassa , das Schiff dort am Kai. Sie wollen alle an Bord, dabei ist es ausgebucht, und das schon
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