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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Felsen, zwei Gänge weiter, appetitlos in einem großen Stück Schweinefleisch herumstocherte.
    »Morgen Nachmittag zwischen zwei und vier«, sagte Abrantes, »wird auf einer kleinen Straße zwischen Melos und Seixo ein Wagen unterwegs sein.«
    »Mit einem britischen Agenten?«
    Abrantes nickte.
    »Wissen wir sonst noch etwas?«
    »Nein. Nur dass die Straße durch einen Kiefernwald führt.«
    »Wer hat Ihnen das erzählt?«
    »Der Fahrer.«
    »Ist er verlässlich?«
    »Er hat eintausend Escudos gekostet und will eine Arbeit. Wir werden uns um ihn kümmern müssen.«
    »Verlässlichkeit wird immer teurer.«
    Abrantes wies mit dem Kopf auf die volframistas in seinem Rücken.
    »Sie wollen kein Brot mehr essen, weil es zu billig ist. Sie haben Armbanduhren, ohne die Zeit lesen zu können. Sie überkronen ihre verfaulten Zähne mit Gold, schlafen aber immer noch bei ihren Schafen. Die Beira ist eine Gegend für Verrückte geworden. Gestern ist ein ganzes Dorf zu mir gekommen. Ein ganzes Dorf! Vierhundert Leute aus der Gegend von Castelo Branco. Sie haben von den Preisen gehört. Bei zweihundert Escudos für einen kleinen Brocken verdienen sie das Fünfzigfache ihres durchschnittlichen Tageslohnes. Sie nennen es das schwarze Gold.«
    »Das geht so nicht weiter.«
    »Als Nächstes werden sie sich Autos kaufen. Dann sind wir alle tote Männer.«
    »Ich meine, Dr. Salazar wird nicht zulassen, dass das so weitergeht. Die Regierung wird nicht zusehen, wie Leute ihre Heimat verlassen und aufhören, sich um die Felder zu kümmern. Sie werden verhindern, dass Löhne und Preise außer Kontrolle geraten. Salazar weiß, was eine Inflation bedeuten würde.«
    »Inflation?«
    »Es ist eine Art Krankheit des Geldes.«
    »Erzählen Sie mir davon.«
    »Nun, diese Krankheit tötet Geld.«
    »Geld ist Papier, Senhor Felsen«, sagte Abrantes bündig.
    »Wissen Sie, was Krebs ist?«
    Abrantes nickte und hörte auf, seinen bacalhau zu bearbeiten.
    »Nun, es gibt auch so etwas wie Blutkrebs. Das Blut sieht aus wie vorher, es ist immer noch rot, aber irgendetwas wächst in ihm. An einem Tag betrachten Sie einen 10-Escudo-Schein, am nächsten ist es ein 100-Escudo-Schein, und am übernächsten Tag sind es schon tausend Escudos.«
    »Und das ist nicht gut?«
    »Das Geld sieht genauso aus wie vorher, aber es ist nichts mehr wert. Die Regierung druckt das Geld nur, um mit der Preis- und Lohnentwicklung Schritt zu halten. Und dann bekommen Sie für einen 1000-Escudo-Schein gar nichts mehr. Wir in Deutschland kennen die Inflation.«
    Joaquim Abrantes’ Messer und Gabel schwebten noch immer über dem bacalhau . Es war das einzige Mal, dass Felsen ihn je ängstlich gesehen hatte.
     
     
    4. Juli 1941,
    Serra da Estrela, Beira Baixa, Portugal
     
    Es war heiß. Unerträglich heiß und windstill. Selbst in den Ausläufern der serra , wo zumindest eine leichte Brise hätte wehen sollen, herrschte eine derart sengende und drückende Hitze, dass Felsen spürte, wie sie in seinem Hals und seiner Lunge brannte. Er schwitzte bei offenem Fenster auf der Rückbank eines Citroën und trank hin und wieder einen Schluck warmes Wasser aus einer metallenen Taschenflasche. Neben ihm saß Abrantes in seinem Jacket, ohne einen sichtbaren Schweißtropfen zu vergießen.
    Als sie von Belmonte in die Berge fuhren, waren regelrechte Menschenmengen in der brütend heißen Wildnis unterwegs. Es waren so viele, dass Felsen glaubte, ein Wunder müsse sich ereignet haben, eine weitere Vision wie die von 1917 in Fátima, sodass die Menschen nun eilten, um der heiligen Jungfrau ansichtig zu werden. Doch es war das Wolfram, das sie herausgelockt hatte. Schwarzes, glänzendes kristallisiertes Magma, das vor Millionen von Jahren aus dem Erdinneren geschleudert worden war.
    Und er selbst war der Gründer dieses neuen Kultes gewesen, der ihn nun zugleich faszinierte und entsetzte. Die Leute hatten ihr Leben hinter sich gelassen. Dorfbürgermeister, Beamte, Anwälte, Schuster, Steinmetze, Köhler, Schneider … sie alle hatten im Wolfram-Fieber ihre Arbeit verlassen, um in den Hügeln zu schürfen, am Ginster zu rupfen und die Erde auszuhöhlen. Wenn man sterben wollte, gab es keinen, der die Beerdigung organisierte oder einen Sarg schreinerte.
     
    Dem blonden Engländer war schlecht. Er lag ausgebreitet auf dem Rücksitz dieser Klapperkiste von einem Wagen und versuchte ein wenig kühle Luft an seine helle Haut, die roten Arme und das rosige Gesicht zu bekommen. Die Fahrt von Viseu

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