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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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war lang und beschwerlich gewesen, und nichts hatte geklappt. Nach der ersten Reifenpanne hatte er aufgehört, an Wolfram zu denken, und sich in ein mildes Delirium gedöst, in dem er mit einem blauäugigen holländischen Mädchen verheiratet war, Kinder hatte und Wein anbaute.
    Die Straße riss ihn aus seinen Fantasien, der Fahrer schien instinktiv die tiefsten Schlaglöcher zu finden. Fetzen der Wirklichkeit wehten durch sein Gehirn. Warum wollte sie nach Amerika? Mit der Frau war einfach nicht zu reden. Sollte er sich schuldig fühlen? Vielleicht schon. Vielleicht hätte er wenigstens zum US-Konsulat gehen und versuchen sollen, mit der Frau in der Visaabteilung zu reden, aber warum den Ast absägen, auf dem man sitzen wollte? Mein Gott, diese Hitze und dieses seltsame Licht. Staub aus der Wüste, hatte der Fahrer gesagt. Der Mann war ein verdammter Idiot und unverschämt noch dazu. Er war nie recht warm mit den Leuten aus der Beira geworden. Warum hatten sie ihn aus Minho hierhin geschickt? Dort oben war es nie so heiß, und die Leute waren umgänglicher. Wolfram. Und er hatte sie nicht einmal geküsst.
     
    Felsens Wagen kurvte den Hang ins Tal hinab und auf der anderen Seite wieder bergauf. Hinter ihm fuhr ein kleiner LKW mit vier Mann und einem Fahrer. Als sie die am Vortag ausgespähte Kurve erreichten, hielten sie an und stiegen aus. Dann fuhren der LKW und Felsens Wagen ein Stück weiter bergauf und parkten.
    Zwei Männer schleiften die Kiefer, die sie gestern ausgegraben hatten, auf die Straße. Ein Dritter machte sich auf den Weg durch die Serpentinen den Hang hinauf. Felsen, Abrantes und die anderen zogen sich in die flüsternde Hitze des Kiefernwaldes zurück. Abrantes gab jedem der Männer einen Holzknüppel, und sie setzten sich gemeinsam auf eine Kruste getrockneter Kiefernnadeln. Abrantes streckte ein Bein aus und zog eine Walther P48 aus dem Hosenbund. Felsen zündete sich eine Zigarette an und ließ den Kopf zwischen seinen Knien baumeln. Er hatte am Abend zuvor zu viel getrunken, die Hitze rückte ihm zu Leibe, und das Licht färbte sich am Rande seines Gesichtsfelds rot, als ob etwas Schreckliches zu geschehen drohte. Die Männer hinter ihm flüsterten und raschelten.
    Fliegen krabbelten auf seinem verschwitzten Hemd, und Felsen schlug genervt um sich. Erneut drohte er in einer Depression zu versinken. Er versuchte, sich abzulenken, doch seine Gedanken kreisten immer wieder um Eva, Lehrer und die goldenen Manschettenknöpfe mit den Initialen »KF«, die das Mädchen gestohlen hatte.
    Abrantes hob eine Hand.
    Sie hörten das Geräusch im Tal alle gleichzeitig. Ein Motor wurde heruntergeschaltet, und das Auto begann den Anstieg. Die Männer waren still wie Eulen auf einem Ast. Felsen blickte zu dem Mann mit der Axt, der fünfzig Meter oberhalb des gefällten Baumes auf der anderen Straßenseite wartete, und hob die Hand. Der Wagen kroch die Serpentinen herauf, und der Fahrer ließ das Kuppeln ganz sein und arbeitete sich mit knirschenden Zahnrädern durch die Gänge. Das stechende Harzaroma reizte Felsens trockene Kehle.
     
    »Wenn Sie die Kupplung nicht treten, werden Sie noch das Getriebe ruinieren«, brüllte der Engländer auf der Rückbank.
    Der Fahrer zuckte die Achseln und rührte weiter mit dem Schaltknüppel durch die Gänge, als würde ihm das Geräusch knirschenden Metalls Freude bereiten. Der Engländer ließ sich auf den Sitz zurückfallen, als der Wagen sich durch die nächste Haarnadelkurve quälte. Wie würde es sein, sie auf den Mund zu küssen? Einmal hatten ihre Lippen die seinen gestreift, und das neuartige Gefühl hatte ihn innerlich erschaudern lassen. Das war Monate her. Würde sie noch da sein? Er zückte seine Brieftasche und zog gerade ihr Foto heraus, als er spürte, wie der Wagen bremste.
    »Was ist los?«
    »Ein umgestürzter Baum«, sagte der Fahrer und ließ den Motor im Leerlauf aufheulen, damit er nicht ausging.
    »Umgestürzt oder gefällt?«, fragte der Engländer, steckte seine Brieftasche wieder ein und sah sich um.
    »Umgestürzt … man kann die Wurzeln sehen.«
    »Wodurch sollte um diese Jahreszeit eine Kiefer entwurzelt worden sein?«
    Wieder zuckte der Fahrer die Achseln. Er war kein Experte. Für gar nichts, nicht mal fürs Fahren.
    »Steigen Sie aus, und sehen Sie nach«, sagte der Engländer.
    Der Fahrer ließ den Motor erneut aufheulen.
    »Nein, warten Sie«, sagte er plötzlich argwöhnisch.
     
    Zwei volle Minuten lang stieg niemand aus dem Wagen.

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